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Update Corona I: Zur Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit

ArbG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20

Die Einführung von Kurzarbeit in Folge der Corona-Pandemie erfolgte in vielen Fällen einvernehmlich, d.h. mit Akzeptanz der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmervertretung. Doch sehen arbeitsvertragliche Regelungen die grundsätzliche Möglichkeit zur Einführung von Kurzarbeit nicht vor und ist kein Betriebsrat existent mit welchem, ggf. unter Anrufung der Einigungsstelle, eine auf Einführung von Kurzarbeit ausgerichtete Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden kann, so sind Arbeitgeber auf die Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers angewiesen. Wird diese nicht erteilt, so stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber einseitig, und in Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit Kurzarbeit mittels außerordentlicher Änderungskündigung rechtswirksam einführen kann. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Stuttgart ist dies unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich möglich.

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin ist seit 2011 bei ihrem Arbeitgeber, einer betriebsratslosen Leiharbeitsfirma beschäftigt. Die Betriebsschließungen infolge der Corona-Pandemie im März 2020 führten bei dieser zu einem erheblichen Arbeitsausfall, den diese bei der Agentur für Arbeit anzeigte und sodann bis zum Jahresende bewilligte Kurzarbeit einführte. Die Arbeitnehmerin wurde am 09.04.2020 telefonisch um ihre Zustimmung zur Einführung von Kurzarbeit gebeten. Sie lehnte eine Unterzeichnung einer Änderungsvereinbarung ab. Am 22.04.2020 sprach das Unternehmen eine fristlose, hilfsweise ordentlich fristgerechte Änderungskündigung zum 31.7.2020 aus. Mit dieser sollte die Arbeitgeberin berechtigt werden, für die Zeit vom 18.5.2020, hilfsweise ab dem 01.08.2020 bis voraussichtlich 31.12.2020 Kurzarbeit bei Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der weiteren Voraussetzungen der §§ 95 ff. SGB III einzuführen. Beginn und Ende der Kurzarbeit sowie die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit sollte der Arbeitgeber unter Wahrung einer Ankündigungsfrist von drei Wochen in Textform mitteilen dürfen, wobei die Verteilung der im Zeitraum der Kurzarbeit verbleibenden Arbeitszeit auf die einzelnen Kalendertage sowie die Lage der täglichen Arbeitszeit sich nach den betrieblichen Erfordernissen und arbeitgeberseitigen Weisungen richten sollte. Die Arbeitnehmerin nahm das Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und erhob Änderungskündigungsschutzklage.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Stuttgart ist die außerordentliche Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit rechtswirksam, da ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Insbesondere die gesetzgeberische Wertung der §§ 95 ff. SGB III (Regelungen zur Kurzarbeit) seien hierbei zu berücksichtigen. Es bestehe insoweit eine Verknüpfung zwischen den arbeitsrechtlichen und den sozialrechtlichen Bestimmungen, welche sich auf die Auslegung des Begriffs „dringende betriebliche Erfordernisse“ (§ 1 KSchG) auswirke. Werde Kurzarbeit nach den sozialrechtlichen Bestimmungen wirksam eingeführt, so liege auch ein durch erheblichen Arbeitsausfall eintretender Entgeltausfall vor. Bestehe sodann aber kein Betriebsrat und sei eine individualvertragliche Regelung aufgrund Ablehnung der Arbeitnehmerseite nicht möglich, so verbleibe dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit der Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit. Insoweit dürften dem Arbeitgeber auch keine zu hohen Hürden gestellt werden (z. B. Darlegung einer drohenden Insolvenz). Ausreichend sei, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bliebe. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit ist dem Arbeitgeber nicht abzuverlangen, dass er zur Einführung von Kurzarbeit nur eine ordentliche anstatt einer außerordentlichen Änderungskündigung ausspreche. In diesem Fall drohe eine nicht mehr sinnvolle Nutzung der Regelungsinstrumentarien der Kurzarbeit aufgrund Zeitablaufs. Erfolge die Änderungskündigung zudem „nur“ zur generellen Einführung von Kurzarbeit und werden insoweit Voraussetzungen, wie das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld, eine Ankündigungsfrist von – vorliegend – drei Wochen bestimmt, so spricht dies zudem für die Verhältnismäßigkeit der außerordentlichen Änderungskündigung. Entsprechendes gelte für die Begrenzung der Dauer der möglichen Kurzarbeit.

Klarstellend stellt das Arbeitsgericht Stuttgart fest, dass insoweit nicht auf die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur reinen Entgeltreduzierung durch Änderungskündigung zurückgegriffen werden könne. Diese – sehr hohen – Anforderungen seien vorliegend nicht maßgeblich, da nicht einseitig in das Äquivalenzinteresse eingegriffen werde, sondern sich das Entgelt nur aufgrund der verringerten Arbeitszeit reduziere.

Praxishinweise

Die, in der Fachliteratur durch aus umstrittene Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart stellt einen Lichtblick für diejenigen Arbeitgeber da, die betriebsratslos sind und nicht die Zustimmung ihrer Mitarbeiter zur Einführung von Kurzarbeit erhalten.

Verbleibt Arbeitgebern nur diese Möglichkeit zur Einführung von Kurzarbeit, so ist diesen dringend zu empfehlen, die seitens des Arbeitsgerichts Stuttgart aufgestellten Voraussetzungen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit (insbesondere Ankündigungsfrist, begrenzte Dauer der grundsätzlichen Möglichkeit der Kurzarbeit, Vorliegen der sozialrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld, lediglich Eröffnung der Möglichkeit der sodann nach billigen Ermessen zu bestimmenden konkreten Festlegung von Kurzarbeit) zu beachten. Darüber ist das Augenmerk auf eine sorgfältige Formulierung der Änderungskündigung zu legen, insbesondere ist das Bestimmtheitsgebot zu beachten.

Mit Interesse wird zu verfolgen sein, wie sich andere Gerichte oder die nächsten Instanzen mit dieser Rechtsfrage auseinandersetzen, welche höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. Sicherlich wird auch zu berücksichtigen sein, dass zwar keine reine Entgeltreduzierung vorliegt, der betroffene Arbeitnehmer dennoch einen gewissen Entgeltausfall – trotz Kurzarbeitergeld durch die Agentur für Arbeit – hinzunehmen hat. Auch ist fraglich, ob der Arbeitgeber sich tatsächlich auf einen wichtigen Grund berufen kann, sofern er nicht durch umsichtige Vertragsgestaltung selbst dafür Sorge getragen hat, die Möglichkeit zu haben, Kurzarbeit einzuführen. Zumindest bei Arbeitsverträgen, die nach der Finanzkrise 2008 geschlossen wurden, bei welcher das Thema Kurzarbeit bereits omnipräsent war, darf man hieran zweifeln.

Für betroffene Arbeitgeber verbleibt es bei dem Motto: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Thomas Krebs
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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