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Keine freie Ortswahl bei Gesamtbetriebsratssitzungen – auch bzw. erst recht in Corona-Zeiten!

LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.02.2020 – 1 TaBV 21/19

Zumindest derzeit und vorläufig finden in vielen Unternehmen Sitzungen des Betriebsrats und insbesondere des Gesamtbetriebsrates mittels Telefon- und Videokonferenzen statt. Rechtlich ermöglicht werden soll dies durch die am 20.05.2020 erfolgte Neueinführung des § 129 BetrVG. Auf die damit verbundenen Rechtsprobleme und Rechtsunsicherheiten haben wir bereits ausführlich aufmerksam gemacht (vgl. Müller, ArbRAktuell 2020, 247). In Zeiten von teilweise flächendeckenden Betriebsschließungen bzw. strikten „Homeoffice-Regelungen“ liegt der Gedanke nicht fern, dass sich Betriebsratsgremien – zur Fassung wirksamer Beschlüsse – auch außerhalb des Betriebes zu Beschlussfassungen treffen. Gesamtbetriebsräte haben sich mit dieser Thematik, auch außerhalb einer Pandemiesituation, seit jeher zu beschäftigen. Für diese stellt sich immer wieder die Frage, an welchem Ort sie ihre Sitzungen abhalten. Hierzu hat das LAG Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 24.02.2020 grundlegend und rechtsfortbildend ausgeführt.

Sachverhalt

Das LAG Schleswig-Holstein hatte darüber zu entscheiden, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die Kosten einer Gesamtbetriebsratssitzung zu tragen. Im konkreten Fall unterhält die Arbeitgeberin im Bundesgebiet an 29 Standorten Betriebe. Für 13 Standorte sind Betriebsräte gewählt, welche einen Gesamtbetriebsrat errichtet haben. Der Gesamtbetriebsrat wählt für seine Sitzungen unterschiedliche Sitzungsorte aus und beschränkt diese nicht nur auf Betriebe, für die ein Betriebsrat gewählt ist. Die Arbeitgeberin vertritt die Ansicht, dass Sitzungen an betriebsratslosen Standorten nicht erforderlich sein und sie infolgedessen die insofern entstehenden Kosten nicht zu tragen habe. Sachgerecht sei es vielmehr, dass die Sitzungen des Gesamtbetriebsrates am Unternehmenssitz bzw. in Einzelfällen an Standorten, an denen örtliche Betriebsräte gewählt wurden, stattfinden..

Entscheidungsgründe

Das LAG Schleswig-Holstein schloss sich den Ausführungen der ersten Instanz dahingehend an, dass dem Kostenerstattungsantrag des Gesamtbetriebsrats nicht stattzugeben sei. Gemäß der Regelung des § 40 Abs. 1 BetrVG (anwendbar für den Gesamtbetriebsrat über § 51 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) bestehe eine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nur insoweit, als die entstehenden Kosten für die Durchführung der Betriebsratsarbeit erforderlich sind. Ob dies der Fall ist, ist weder nach der subjektiven Sicht des Betriebsrats noch unter rückwirkender Betrachtung von einem rein objektiven Standpunkt aus zu beurteilen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Kosten im Zeitpunkt ihrer Verursachung bei gewissenhafter Abwägung aller Umstände für erforderlich gehalten werden durften, damit der Betriebsrat seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann. Bei der Bewertung der die Kosten auslösenden Umstände hat der Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum.

Für Sitzungen des Gesamtbetriebsrats gilt zunächst, dass diese nicht zwingend am Sitz der Hauptverwaltung des Unternehmens stattfinden müssen (vgl. BAG, Beschluss vom 24.7.1979 – 6 ABR 96/77). Vielmehr könne der Gesamtbetriebsrat seine Sitzungen jedenfalls an einem Ort durchführen, der unternehmensbezogen sei, also in Einzelbetrieben des Unternehmens, in den Betriebsräte gebildet sind. Auch nach einer etwas neueren Entscheidung des BAGs ist der Gesamtbetriebsrat nicht verpflichtet, seine Sitzungen am Sitz der Hauptverwaltung des Unternehmens einzuberufen (vgl. BAG, Beschluss vom 29.04.1998 – 7 ABR 42/97). Infolgedessen wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass Sitzungen des Gesamtbetriebsrats auch an Orten durchgeführt werden können, an denen sich kein Betrieb des Unternehmens oder ein betriebsratsloser Betrieb befindet (vgl. GK-BetrVG, 11. Auflage, § 51, Rn. 50).

Das LAG Schleswig-Holstein kommt zutreffend zu dem Schluss, dass die Frage, ob eine Gesamtbetriebsratssitzung in einem betriebsratslosen Betrieb erforderlich im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG ist, nicht allgemein entschieden werden kann. Es gebe kein generelles Verbot, auch einmal in einem betriebsratslosen Betrieb eine Gesamtbetriebsratssitzung abzuhalten oder in einem Hotel an einem Standort ohne Betriebsrat zu tagen. Entscheidend sei vielmehr, ob es einen betriebsbezogenen, also standortbezogenen Anlass hierfür gebe, der die Wahl des Sitzungsortes des Gesamtbetriebsrats rechtfertige. Die Durchführung der Sitzung am vorgesehenen Tagungsort muss zur Wahrnehmung von Gesamtbetriebsratsaufgaben erforderlich sein. Dabei ist vorrangig die Erforderlichkeit der Betriebsratsarbeit zu prüfen. Die Frage, ob entstehende Kosten verhältnismäßig sind, ist nachrangig zu beantworten. Ist eine Gesamtbetriebsratssitzung zur Wahrnehmung von bestimmten Aufgaben an einem konkreten Standort erforderlich, sind – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – die anfallenden Kosten zu erstatten. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn ein betriebsratsloser Betrieb von einer betriebsübergreifenden, interessenausgleichspflichtigen Maßnahme betroffen ist. Das LAG Schleswig-Holstein kann sich aber eine Erforderlichkeit für eine Betriebsratssitzung an einem Ort, an dem kein Betrieb des Unternehmens existent ist, nicht vorstellen. Im konkreten Fall sah das Gericht die Erforderlichkeit schon deshalb nicht gegeben, da der Gesamtbetriebsrat nicht dazu vorgetragen hatte, dass er einen konkreten Anlass für die Durchführung der Sitzung am gewählten Ort hatte.

Praxishinweise

Häufig bestehen zwischen Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber keine Meinungsverschiedenheiten bzgl. der Kostenerstattung im Zusammenhang mit Gesamtbetriebsratssitzungen. Sind solche aber gegeben oder im Hinblick auf laufende oder kommende Auseinandersetzungen zu erwarten, so gilt es für die Betriebsparteien im Einzelfall zu prüfen, ob eine Kostenerstattungspflicht des Arbeitgebers besteht.

Der Gesamtbetriebsrat sollte den Sitzungsort so wählen, dass dieser eine Bezug zur erforderlichen (!) Betriebsratsarbeit hat. In der Regel wird es sich insofern um eine Betrieb des Unternehmens handeln, für welchen ein Betriebsrat gewählt wurde, aber auch Sitzungen an betriebsratslosen Standorten sind denkbar. Der Zusammenhang zwischen Sitzungsort und Betriebsratsarbeit sollte sich bereits aus der Tagesordnung ergeben bzw. ableiten lassen. Von Sitzungen an Orten ohne Unternehmensbezug ist, sofern hierfür keine plausible Begründung vorliegt, abzuraten.

Arbeitgeberseitig kann die Frage der Kostenerstattung als Druckmittel in Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat verwendet werden. Allerdings ist zu beachten, dass die rechtlich sekundäre Frage der Verhältnismäßigkeit der Kosten für viele Unternehmen (wirtschaftliche) Priorität hat. Zudem sind zahlreiche Konstellationen denkbar, in denen der Arbeitgeber auf die (ordnungsgemäße) Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats angewiesen ist (z.B. Verhandlungen über Betriebsänderungen).

Diese Grundsätze gilt es auch bzw. erst recht in Corona-Zeiten zu beachten, da zumindest auf der zweiten Prüfungsstufe bzgl. der Verhältnismäßigkeit der Kosten § 129 BetrVG als Argument (rechtmäßig?) verwendet werden kann.

Thomas Krebs
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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