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Erweiterte Mitbestimmung für Führungskräfte in Matrixstrukturen
BAG Beschluss vom 22.05.2025 – Az.: 7 ABR 28/24
I. Einleitung
Im kommenden Jahr stehen wieder die turnusmäßigen Betriebsratswahlen an. Im Zuge der Betriebsratswahlen sieht sich der zuständige Wahlvorstand regelmäßig verschiedenen diffizilen Fragestellungen ausgesetzt. Erster Schritt einer jeden Betriebsratswahl ist zunächst die Aufstellung der Wählerliste. Der Arbeitgeber hat dem Wahlvorstand sämtliche Informationen zur Erstellung der Wählerliste gem. § 2 WO zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme von Arbeitnehmern in die Wählerliste trifft der Wahlvorstand durch Beschluss seiner stimmberechtigten Mitglieder. Nur die in die Wählerliste eingetragenen Arbeitnehmer können ihr aktives und passives Wahlrecht ausüben. Ist die Wählerliste fehlerhaft stellt dies einen Anfechtungsgrund dar. Die Wahlberechtigung richtet sich nach § 7 BetrVG. Zentraler Anknüpfungspunkt ist hierbei die Frage, ob ein Arbeitnehmer dem Betrieb angehört. Das BAG hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Führungskräfte in Matrixstrukturen in mehreren Betrieben wahlberechtigt sind und damit konsequenterweise auch auf mehreren Wählerlisten mitaufzunehmen sind.
II. Sachverhalt
Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen aus der IT-Branche, organisiert ihre Unternehmensbereiche innerhalb einer betriebsübergreifenden, unternehmensinternen Matrixstruktur. Im Rahmen der Betriebsratswahl 2022 im Betrieb Region Süd („Betrieb Süd“) nahm der dort gebildete Wahlvorstand 128 sog. Matrix-Führungskräfte in das Wählerverzeichnis auf. Diese Führungskräfte waren organisatorisch einem anderen Stammbetrieb zugeordnet und übten ihre Tätigkeit überwiegend außerhalb des räumlichen Bereichs des Betriebs Süd aus. Der Wahlvorstand begründete ihre Wahlberechtigung damit, dass sie im Rahmen der unternehmensinternen Matrixstruktur unstreitig fachliche Weisungsbefugnisse gegenüber Beschäftigten des Betriebs Süd innehatten.
Die Arbeitgeberin focht die Betriebsratswahl mit der Begründung an, dass die betreffenden Matrix-Führungskräfte dem Betrieb Süd nicht zuzurechnen seien. Es fehle an einer hinreichenden Eingliederung in dessen Betriebsorganisation, da die Führungskräfte nicht über ein maßgebliches disziplinarisches Weisungsrecht gegenüber den von ihnen fachlich geführten Arbeitnehmern verfügten.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, dessen Entscheidung dem BAG vorgelegt wurde, gab der Wahlanfechtung statt und erklärte die Betriebsratswahl für unwirksam
(Beschluss vom 13.06.2024 – 3 TaBV 1/24). Nach Auffassung des LAG seien Führungskräfte regelmäßig nur in ihrem Stammbetrieb wahlberechtigt und nicht zusätzlich in dem Betrieb in welchem diese „nur“ Führungsaufgaben wahrnehmen. Demgegenüber hatte das LAG Hessen (Beschluss vom 22.01.2024 – 16 TaBV 98/23) und auch das LAG München (Beschluss vom 22.05.2024 – 11 TaBV 86/23) entschieden, dass Matrix-Führungskräfte zusätzlich in dem Betrieb wahlberechtigt sein können, in dem Sie Führungsaufgaben übernehmen.
III. Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg auf und verwies das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurück. Nach der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts richtet sich die Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG nach der betrieblichen Eingliederung. Eine solche könne auch dann vorliegen, wenn eine Person – etwa im Rahmen einer Matrixorganisation – mehreren Betrieben gleichzeitig zugeordnet ist. In diesen Fällen könne eine mehrfache Wahlberechtigung bestehen.
IV. Fazit
Die Entscheidung des BAG ist konsequent und hat noch nicht abschätzbare Rechtsfolgen. Die Anerkennung der mehrfachen Wahlberechtigung hat einerseits Auswirkungen auf den Gesamt- und Konzernbetriebsrat, nachdem sich die Anzahl der Stimmen eines Mitglieds des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats nach der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer im Betrieb richtet (§§ 47 Abs. 7, 55 Abs. 3 BetrVG). Folge wäre auch dass die Führungskräfte mehreren Betriebsräten angehören, da die Wählbarkeit gemäß § 8 BetrVG mit der Wahlberechtigung gemäß § 7 BetrVG in Korrelation steht. Letztlich lässt das BAG in seiner Entscheidung offen, ab wann von einer „Eingliederung“ in den Betrieb auszugehen ist. Es ist davon auszugehen, dass diese Entscheidung eine Reihe von Anfechtungsverfahren nach sich ziehen wird, in denen das BAG auch diese Folgefragen zu klären haben wird.
Thomas Frisch
Rechtsanwalt
dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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