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Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Einheit des Verhinderungsfalls

BAG, Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 5050/18 (LAG Niedersachsen, Urteil vom 26.09.2018 – 7 Sa 336/18)

Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten bis zum 31.07.2017 beschäftigt. Seit dem 07.02.2017 war sie aufgrund eines psychischen Leidens arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin erhielt von der Beklagten Entgeltfortzahlung bis einschließlich 20.03.2017, im Anschluss bezog sie auf der Grundlage von Folgebescheinigungen ihrer Hausärzte, die ihr eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 18.05.2017 attestierten, Krankengeld.

Am 19.05.2017 unterzog sich die Klägerin wegen eines gynäkologischen Leidens einer seit längerem geplanten Operation. Bereits am Vortag, dem 18.05.2017, war ihr durch ihre Frauenärztin mit einer „Erstbescheinigung“ Arbeitsunfähigkeit vom 19.05.2017 bis zunächst 16.06.2017 und mit einer „Folgebescheinigung“ bis voraussichtlich 30.06.2020 attestiert worden.

Im Juli 2017 erbrachte die Klägerin aufgrund von Urlaub und Überstundenausgleich keine Arbeitsleistung mehr und begann eine psychotherapeutische Behandlung bei einem Neurologen.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18.05.2017 geendet. Erst die Operation am 19.05.2017 habe zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit geführt. An diesem Tag sei deshalb ein Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen entstanden.

Die Beklagte hat mit der Argumentation, nach den Umständen sei von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen, Klageabweisung beantragt. Die Klägerin habe deswegen nur einmal für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen können.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Klage – nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten – abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hatte vor dem fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht führte hierzu aus, dass wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig sei und sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine weitere Arbeitsunfähigkeit anschließe, die im Wege der „Erstbescheinigung“ attestiert wurde, dieser im Streitfall darzulegen und zu beweisen habe, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte.

Ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls bestehe regelmäßig dann, wenn sich an eine „erste“ Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit dergestalt anschließt, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.

Ihrer Darlegungs- und Beweislast sei die Klägerin im vorliegenden Fall nicht nachgekommen. Auch nach Beweiserhebung des Landesarbeitsgerichts durch die Vernehmung der die Klägerin behandelnden Ärzte habe nicht festgestellt werden können, dass ein einheitlicher Verhinderungsfall nicht vorlag.

Praxishinweise

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen, da sie praxisnah ist und bezüglich der Frage der Darlegungs- und Beweislast für die Einheit des Verhinderungsfalls Rechtsklarheit schafft.

Der Arbeitgeber hat in der Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen, die zur Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt haben und ist kaum in der Lage, belastbare Indiztatsachen für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls vorzutragen. Im Gegensatz hierzu ist dem Arbeitnehmer die Darlegung des Nichtvorliegens eines solchen aufgrund seiner Sachnähe zur Krankheitshistorie jedoch zuzumuten.

Lena Schomann
Rechtsanwältin

dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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