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Arbeitsrecht in der Corona-Pandemie I Rückschau 2021 I Ausblick 2022

Die SARS-Cov-2 Pandemie prägte im Jahr 2021 – bereits zum zweiten Mal in Folge – alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche. Sie machte auch vor dem Arbeitsleben nicht Halt und beschäftigte ganz wesentlich Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsräte und die Arbeitsgerichte. Aber auch der Gesetzgeber einerseits sowie die neue Bundesregierung andererseits reagierten auf unterschiedliche (und wechselnde) Art und Weise auf die Herausforderungen der Pandemie. Da auch wir in unserer Beratungspraxis tagtäglich Lösungen für unsere Mandanten im Zusammenhang mit den pandemiebedingten Herausforderungen im Arbeitsrecht entwickeln, wollen wir Ihnen mit diesem Newsletter eine kurze Rückschau auf einige prägende Urteile aus dem Jahr 2021 sowie gesetzliche Neuerungen geben, die für Ihre Arbeit auch im Jahr 2022 von Bedeutung sind und gleichzeitig beleuchten, was das Koalitionspapier für 2022 erwarten lässt.

A. Rückschau – das arbeitsrechtliche Jahr 2021

I. Homeoffice & mobile Arbeit

1.  Gesetzliche Änderungen (IfSG)

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Beschäftigten wo immer möglich anzubieten, im Homeoffice zu arbeiten, wurde erstmals durch den Gesetzgeber in § 28 Abs. 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) normiert. Nachdem diese Regelung zum 30.06.2021 planmäßig auslief, beschloss der Bundestag am 18.11.2021 das „Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Gesetze“, dem der Bundesrat einen Tag später zustimmte. Mit Inkrafttreten am 24.11.2021 regelt nun § 28 b Abs. 4 IfSG, dass einerseits Arbeitgeber ihren Beschäftigten die Möglichkeit einräumen müssen, ihre geschuldete Leistung in ihrer Wohnung zu erbringen, andererseits werden die Beschäftigten verpflichtet, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ausnahmen sieht das Gesetz nur für zwingende betriebliche Gründe vor, wie etwa fehlende Arbeitsmittel oder eine nicht genügende IT-Infrastruktur. Arbeitnehmer dürfen das verpflichtende Angebot ihres Arbeitgebers nur dann ablehnen, wenn es ihnen aufgrund von u.a. Störungen durch Dritte im Haushalt oder Lärmbelästigung nicht möglich ist, ihre Arbeitsleistung in Heimarbeit zu erbringen. Diese Regelung gilt zunächst befristet bis 19.03.2022.

2. Rückkehranordnung aus Homeoffice vom Direktionsrecht gedeckt

Das LAG München (Az. 3 SaGa 13/21) urteilte am 26.08.2021, dass ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer gestattet hatte, seine Tätigkeit von zuhause aus zu erbringen, gemäß § 106 Satz 1 GewO grundsätzlich berechtigt ist, seine Weisung zu ändern und den Mitarbeiter wieder ins Büro zu beordern, wenn sich später betriebliche Gründe herausstellen, die gegen eine Erledigung von Arbeiten im Homeoffice sprechen.

3. Kollektivarbeitsrecht

Hinsichtlich der Tätigkeit im Homeoffice hielt das Jahr 2021 noch eine weitere Änderung bereit. Mit der Novelle des Betriebsverfassungsrechts wurde zum 18.06.2021 ein neuer Mitbestimmungstatbestand für den Betriebsrat geschaffen. Soweit mobile Arbeit mittels Informations- und Kommunikationsmitteln erbracht wird, ist der Betriebsrat fortan nach § 87 I Nr. 14 BetrVG zu beteiligen.

II. Urteile

Die Corona-Pandemie hat nicht nur wesentliche Änderungen der Arbeitswelt angestoßen, die Krise beschäftigte auch die Gerichtsbarkeit. In diesem Zusammenhang ergingen einige Urteile, die auch für die Zukunft von Bedeutung sein werden.

a) Kurzarbeit kürzt den Urlaubsanspruch

Wird für Beschäftigte die sog. Kurzarbeit Null eingeführt und fallen in der Folge ganze Arbeitstage aus, so ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubsanspruchs zu berücksichtigen. Von der Kürzung des Urlaubsanspruchs ist sowohl der gesetzlich garantierte Mindesturlaub als auch darüber hinausgehender vertraglich vereinbarte Urlaub umfasst, sofern die Vertragsparteien keine von § 3 I BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben (BAG, Urteil v. 30.11.2021 – 9 AZR 225/21).

b) Kein Geld für Minijobber während Lockdown

Verhängt der Staat einen sog. Lockdown zum Zwecke der Pandemiebekämpfung und müssen Betriebe in der Folge schließen, haben Minijobber keinen Anspruch auf Lohnzahlung aufgrund von Annahmeverzug. Der Arbeitgeber trägt insoweit nicht das Risiko des Arbeitsausfalls (BAG, Urteil v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21).

c) Corona-Anhuster kann Arbeitnehmer den Job Kosten 

Noch einmal mit einem blauen Auge ist ein Arbeitnehmer vor dem LAG Düsseldorf davongekommen. Nur weil die Arbeitgeberin die Tatbestandsvoraussetzungen einer fristlosen Kündigung nicht beweisen konnte, gab das Gericht der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt. Das LAG stellte allerdings klar, dass das behauptete Verhalten des Klägers, das vorsätzliche Anhusten eines Kollegen und die konsequente Weigerung, sich an infektionsverhütende Maßnahmen zu halten, eine fristlose außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann (LAG Düsseldorf, Urteil v. 27.04.2021 – 3 Sa 646/20).

d) Kein Corona-Test, kein Gehalt!

Sieht ein Hygienekonzept, das aufgrund eines auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags (TV) ausgearbeitet wurde, regelmäßige Testungen auf leicht übertragbare Infektionskrankheiten vor und verweigern sich Arbeitnehmer der Durchführung, so haben diese weder einen Beschäftigungs- noch einen Vergütungsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber (LAG München, Urteil v. 26.10.2021 – 9 Sa 332/21).

e) Maskenpflicht am Arbeitsplatz 

Ordnet der Arbeitgeber rechtmäßig das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNS) am Arbeitsplatz an, kann der Mitarbeiter seinen Anspruch auf Beschäftigung sowie auf Vergütung bei Nichtbeachtung verlieren, selbst wenn es diesem, ärztlich attestiert, nicht möglich ist eine solche MNS zu tragen. Ist der Arbeitsplatz nicht gänzlich für eine Tätigkeit im Homeoffice geeignet, liegt seitens des Arbeitnehmers in diesem Fall Arbeitsunfähigkeit vor. Da das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntFG) keine partielle Arbeitsunfähigkeit kennt und die Interessen an körperlicher Unversehrtheit von Besuchern und Kollegen am Arbeitsplatz höher gewichtet werden, verliert der Arbeitnehmer somit seinen Vergütungsanspruch, zumal eine partielle Tätigkeit in Heimarbeit die Arbeitsunfähigkeit nicht beseitigen kann (ArbG Siegburg, Urteil v. 18.08.2021 – 4 Ca 2301/20).

Das ArbG Cottbus geht noch einen Schritt weiter (ArbG Cottbus, Urteil v. 17.06.2021 – 11 Ca 10390/20). Für Recht erkannte das Gericht, dass einerseits der Arbeitgeber in einem Dienstleistungsbetrieb, in dem physischer Kontakt zu Kunden besteht, das Tragen einer MNS anordnen kann, andererseits eine Kündigung gerechtfertigt sein kann, wenn für einen Mitarbeiter aufgrund einer attestierten Befreiung von der Tragepflicht keine anderweitiger Einsatzmöglichkeit besteht.

f) Einführung von Kurzarbeit muss hinreichend bestimmt sein

Führt der Arbeitgeber Kurzarbeit per Betriebsvereinbarung ein, muss die Vereinbarung hinreichend konkrete Bestimmungen enthalten. Sind die von Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiter nur in einer Anlage benannt, diese den Beschäftigten aber unbekannt, so ist die Vereinbarung aufgrund eines Verstoßes gegen das Gebot der Rechtsnormklarheit unwirksam (ArbG Kiel, Urteil vom 30.03.2021 – 3 Ca 1779 e/20).

Auch eine formularmäßig gefasste arbeitsvertragliche Vereinbarung, die der AGB-Kontrolle unterliegt, kann aufgrund fehlender Angaben unwirksam sein. Eine Vereinbarung, die weder den möglichen Zeitraum, noch Umfang oder Betroffene nennt, ist zu unbestimmt und intransparent und somit in der Folge unwirksam i.S.d. §§ 307 ff. BGB (ArbG Frankfurt (Oder), Urteil v. 10.02.2021 – 1 Ca 1076/20).

g) Kein Ausschluss von BR-Mitglied unter Verweis auf „2G-Regel“

Legt ein Betriebsratsmitglied zu Beginn einer Betriebsratssitzung einen negativen PCR-Test vor, kann ihm die Teilnahme nicht unter Verweis auf die sog. „2G-Regelungen“ versagt werden, auch wenn in der Einladung zur Versammlung auf diese Regelungen hingewiesen wurde (ArbG Bonn, Beschluss vom 15.11.2021 – 5 BVGa 8/21).

h) Keine pandemiebedingte Verlängerung der Kündigungserklärungsfrist

Allein die Tatsache, dass Unternehmen angesichts der Pandemie mit Widrigkeiten zu kämpfen haben, führt nicht zur Hemmung, darüber hinaus ebenso wenig zur Unmöglichkeit der Einhaltung, der 2-Wochen-Frist des § 626 II BGB wegen Verhinderung aufgrund höherer Gewalt. Ist diese Frist abgelaufen dürfen Arbeitnehmern ihren Mitarbeitern auch nicht mit einer solchen Kündigung drohen, um sie zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu bewegen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.03.2021 – 23 Sa 1381/20).

III. Corona-Pandemie und Arbeitsplatz 

1. Arbeits- und Gesundheitsschutz

Zeitgleich mit der erneuten Einführung der sog. „Homeoffice-Pflicht“ (vgl. B.III.2) führte der Gesetzgeber mit § 28 b IfSG auch die „3G-Pflicht“ am Arbeitsplatz ein, jedenfalls dort wo physische Kontakte nicht ausgeschlossen werden können. Gemeint ist, dass Beschäftigten nur noch Zutritt zur Arbeitsstätte gewährt werden darf, wenn diese entweder vollständig geimpft, § 2 Nr. 2 Covid-10-Schutz-Ausnahmenverordnung (SchAusnahmV), genesen, § 2 Nr. 4 SchAusnahmV oder auf das Corona-Virus getestet sind, § 2 Nr. 6 SchAusnahmV. Ausnahmen gelten nach Maßgabe des § 28 b Abs. 1 Nr. 1, 2 nur, wenn Personen ein Impfangebot des Arbeitgebers im Betrieb wahrnehmen möchten oder aber unmittelbar vor Arbeitsaufnahme einen Nachweis über das Nichtvorliegen einer Infektion durch Test im Betrieb des Arbeitnehmers erlangen möchten. Unabhängig von der „3G-Pflicht“, trifft den Arbeitgeber nach § 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) die Obliegenheit, mindestens zwei Mal je Woche für alle Arbeitnehmer einen Antigen-Schnelltest zur Verfügung zu stellen – Beschäftigte müssen von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen, soweit sie nicht nach § 28 b IfSG verpflichtet sind. Zunächst bis zum 19.03.2022 befristet, hat der Arbeitgeber Nachweise über die Beschaffung von Tests und die Vereinbarung mit Dritten über die Testung von Beschäftigten aufzubewahren.

2. Entgeltfortzahlung & Quarantäne 

In den Fällen, in denen Arbeitgeber eine betriebliche Testpflicht anordnen dürfen oder gesetzlich verpflichtet sind die sog. 3G-Regel durchzusetzen, bietet der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung dann nicht ordnungsgemäß an, wenn er sich der Testung verweigert oder keinen entsprechenden Nachweis vorlegt. In der Folge kann der Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung verweigern und den Beschäftigten unbezahlt freistellen. Darüber hinaus verstößt der Beschäftigte durch sein Verhalten gleichzeitig gegen eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Dieser Verstoß kann arbeitsrechtliche Sanktionen rechtfertigen. Befindet sich ein Beschäftigter in behördlich angeordneter Quarantäne oder unterliegt er einem Beschäftigungsverbot nach dem IfSG, so steht ihm nach § 56 Abs. 1 IfSG Entschädigung für Verdienstausfall zu, wenn er durch sein Verhalten die Quarantäneanordnung oder das Beschäftigungsverbot nicht hat vermeiden können. Dadurch profitieren nur diejenigen Beschäftigten von der Regelung, die eine Schutzimpfung in Anspruch genommen, vermeidbare Reisen in sog. Risikogebiete unterlassen oder, soweit möglich, andere Maßnahmen der Prophylaxe getroffen haben.

IV. Betriebsverfassung und „Corona“

1. Virtuelle/ Hybride Betriebsratssitzungen 

Bereits länger geplant, doch in Pandemiezeiten umso willkommener, wurde mit der Reform des Betriebsverfassungsrechts auch die Möglichkeit geschaffen, Betriebsratssitzungen virtuell abzuhalten. Unter der Wahrung des Vorrangs von Präsenzsitzungen, ist es den Mitgliedern des Betriebsrats (BR) seit dem 18.06.2021 möglich, nach Maßgabe des § 30 II BetrVG, an Sitzungen des BR per Video- oder Telefonkonferenz teilzunehmen und an der Beschlussfassung mitzuwirken. Während die Regelung des § 30 II BetrVG als dauerhafte Konzeption des Gesetzgebers gedacht ist und eine Regelung in der Geschäftsordnung des BR erfordert, wurde durch Art. 5 des Impfpräventionsstärkungsgesetzes mit Wirkung zum 12.12.2021 auch die Regelung des 129 I BetrVG a.F. wiederbelebt. In seiner neuen Fassung eröffnet § 129 I BetrVG dem BR neben der Option des § 30 II BetrVG bis einschließlich 19.03.2022 wieder die Möglichkeit, rein virtuelle BR-Sitzungen durchzuführen.

2. Einigungsstelle 

Einigungsstellenverfahren sollen Verfahren, zumindest bis zum Ablauf des 19.03.2022, virtuell stattfinden können. Derzeit noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob auch über das derzeitige in § 129 II BetrVG n.F. genannte Ablaufdatum hinaus, virtuelle oder zumindest hybride Sitzungen der Einigungsstelle zulässig sein sollen. Dafür spricht, dass das Verfahren vor der Einigungsstelle gesetzlich nur in Grundzügen geregelt ist. Allerdings ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit seiner befristeten Erlaubnis von virtuellen Sitzungen der Einigungsstelle nur eine Ausnahme des sonst gebotenen Grundsatzes der Präsenzsitzung gem. § 76 III Satz 2 BetrVG schaffen wollte. Es ist zu hoffen, dass die gesetzliche Regelung verlängert wird.

B. Ausblick 2022 

I. „Corona“ und Kurzarbeitergeld

Als ein wirksames Mittel der Wirtschaftsförderung in der „Corona-Pandemie“ hat sich das Kurzarbeitergeld erwiesen. Um Arbeitsplätze zu sichern und finanzielle Belastungen bzw. Einbußen für Arbeitgeber und Beschäftigte möglichst abzufedern, hat das Kabinett der geschäftsführenden Bundesregierung (der ehemaligen sog. „großen Koaltion“) am 24.11.2021 beschlossen, die Sonderregelungen für den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld (KUG) zu verlängern. Durch die Kurzarbeitergeldverlängerungsverordnung (KugverlV) gelten hinsichtlich des „Corona-KUG“ bis zum 31.03.2022 folgende Regelungen:

  • 10 % der Beschäftigten im Betrieb sind von Arbeitsausfall betroffen
  • Auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden vor Gewährung von konjunkturellem Saison-KUG wird verzichtet
  • Leiharbeitnehmer können vom KUG profitieren
  • Arbeitgebern werden auf Antrag 50 % der allein zu tragenden Sozialversicherungsbeiträgen (während KUG-Bezugsdauer) in pauschalierter Form erstattet

Darüber hinaus sind arbeitgeberseitige Sozialversicherungsbeiträge zu weiteren 50 % erstattungsfähig, sofern ihre Beschäftigten an einer geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen (unter gewissen Voraussetzungen). Die Ampelkoalition hat am 16.02.2022 den „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen“ in den Bundestag eingebracht.

II. Betriebsratswahlen 2022

Turnusgemäß finden im Jahr 2022 zwischen dem 01.03. und 31.05. wieder Betriebsratswahlen statt. Nicht nur durch die derzeit noch bestehende Pandemielage wurde die Arbeitswelt in rechtlicher Hinsicht nachhaltig beeinflusst, auch durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz 2021 wurden Weichen gestellt, die die Betriebsratstätigkeit und die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern verändern und bereits bei den diesjährigen Betriebsratswahlen von Bedeutung sind. Zu beachten gilt zunächst, dass der Gesetzgeber mit § 7 Satz. 1 BetrVG n.F. das Wahlalter zur Ausübung des aktiven Wahlrechts auf 16 Jahre gesenkt hat. Ferner wurde der Schwellenwert für das vereinfachte Verfahren für Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten auf 100 angehoben – diesen gilt es bei den bevorstehenden Wahlen zu beachten. Weiterhin wurde der Kündigungsschutz für Initiatoren erstmaliger Betriebsratswahlen, § 15 III lit. a KSchG n.F., sowie für ehemalige BR-Mitglieder (auch wenn BR nicht mehr besteht), § 103 II lit. a BetrVG n.F., zumindest in geringem Maße verbessert. Weiterhin hat auch das Wahlverfahren für Betriebsräte durch die Novelle der Wahlordnung zum BetrVG (WO) seit Inkrafttreten zum 15.10.2021 einige Veränderungen erfahren. Mit der Novelle der WO ist es dem Wahlvorstand fortan gem. §  IV WO gestattet, Sitzungen per Video- und Telefonkonferenz durchzuführen und während diesen Beschlüsse zu fassen. Großzügig zeigt sich der Gesetzgeber auch hinsichtlich der Einspruchsfrist für Wählerlisten. Mit Inkrafttreten sieht die geänderte Wahlordnung vor, dass Einsprüche gegen die Richtigkeit bis zum Abschluss der Stimmabgabe statthaft sind, § 4 III WO n.F. Durch den geänderten § 14 WO entfallen bei der Präsenzwahl künftig die Umschläge für die Stimmzettel. Auch in Bezug auf die Briefwahl wartet die Gesetzesnovelle mit Änderungen auf. Schriftlich eingegangene Stimmzettel werden nicht mehr vor, sondern erst zu Beginn der öffentlichen Stimmauszählung ausgezählt. Weitere Neuerungen treffen den Wahlvorstand. Diesem obliegt es nun nach § 3 IV Wo n.F., das Wahlausschreiben unaufgefordert an all jene wahlberechtigen Personen zu versenden sind, die voraussichtlich am Wahltag nicht im Berieb anwesend sein werden. Darüber hinaus hat der Wahlvorstand nicht, wie bisher, nur auf die Frist zur Einlegung eines Einspruchs gegen die Richtigkeit der Wählerliste hinzuweisen, sondern auch gem. § 19 III BetrVG n.F. auf die Rechtsfolge des Ausschlusses des Anfechtungsrechts, wenn jene Frist versäumt wird. Schließlich hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen übernommen, unter welchen der Wahlvorstand die Frist zur Einreichung fristgebundener Erklärungen bestimmen kann. So normiert nun der neu geschaffene § 41 II WO, dass jene Frist durch Festlegung des Wahlvorstands auf das Ende der Arbeitszeit – in Abweichung der Fristberechungsgrundsätze des BGB – gelegt werden werden kann.

III. Koalitionsvertrag

Rund 80 Tagen nach der zurückliegenden Bundestagswahl konnte die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen. In dieser Zeit wurde ein Koalitionsvertrag erarbeitet, der auch für das Arbeitsrecht diverse Neuerungen vorsieht. Aus diesem stechen insbesondere die Themen Aus- und Weiterbildung, die Flexibilisierung der Arbeitszeit- und des Ortes sowie Anpassungen in Bezug auf den Mindestlohn und prekäre Beschäftigungsverhältnisse hervor.

1. Aus- und Weiterbildung

Recht vage formuliert, sprechen sich die Koalitionsparteien u. a. für eine Ausbildungsgarantie aus, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglichen soll. Vollzeitschulische Ausbildungen sollen nur noch vergütet und frei von Schulgeld angeboten werden, vollqualifizierende Ausbildungen bei der beruflichen Weiterbildung sollen zudem für Menschen in Arbeitslosigkeit und Grundsicherung, unabhängig von ihrer Dauer, leichter zugänglich gemacht werden. Mit der Einführung einer Bildungsteilzeit sollen die Möglichkeiten für berufliche Neuorientierung sowie Aus- und Weiterbildung verbessert werden. Unternehmen im Strukturwandel soll die Bundesagentur für Arbeit zukünftig durch ein „ans Kurzarbeitergeld angelehnte Qualifizierungsgeld“ ermöglichen, ihre Beschäftigten fortzubilden und im Betrieb zu halten. Voraussetzung hierfür sollen Betriebsvereinbarungen sein.

2. Homeoffice & Mobile Arbeit

Auch das bereits in der vergangenen Legislaturperiode geplante Gesetz zur mobilen Arbeit rückt wieder in den Fokus: Der gemeinsame Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sieht einige Änderungen, das Arbeitsrecht betreffend vor. So sollen Beschäftigte ein Erörterungsrecht hinsichtlich einer Tätigkeit im „Homeoffice“ erhalten und Arbeitgeber einen Wunsch nach Heimarbeit nur dann ablehnen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen, wobei abweichende Vereinbarung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung möglich sein soll. Darüber hinaus soll durch Gesetz eine Abgrenzung zwischen „Homeoffice“, mobiler Arbeit und Telearbeit geschaffen werden.

3. Arbeitszeit 

Während im Grundsatz am werktäglichen 8-Stunden-Tag festgehalten wird, plant die Bundesregierung, zukünftig, Abweichungen von der täglichen Höchstarbeitszeit zuzulassen, soweit solche aufgrund eines Tarifvertrags erfolgen. Weiter soll geprüft werden, welcher Handlungsbedarf im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung besteht (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – C-55/18).

4. Mindestlohn, Mini- und Midijobs

Entgegen der bisherigen Praxis plant die neue Bundesregierung, so in der Präambel des Koalitionsvertrags nachzulesen, den gesetzlichen Mindestlohn einmalig auf 12,00 € brutto pro Stunde zu erhöhen. Derzeit liegt dieser bei 9,82 € brutto/Stunde. Erst danach soll die  Mindestlohnkommission wieder über etwaige Erhöhungsschritte befinden. Wann diese Erhöhung in Kraft treten soll, wurde nicht bisher nicht festgelegt. Aufgrund der angestrebten Erhöhung des Mindestlohnes soll damit einhergehend die Entgeltgrenzen für Minijobs von 450,00 € auf 520,00 € und für Midijobs von 1.300,00 € auf 1.600,00 € angehoben werden.

5. Befristung & Arbeitnehmerüberlassung

Zunächst soll im öffentlichen Dienst der Befristungsgrund der Haushaltsbefristung gem.§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG abgeschafft werden. Weiter sollen sachgrundlose Befristungen im Bund „Schritt für Schritt“ reduziert werden und, zur Eindämmung von Kettenbefristungen, die Befristung mit Sachgrund gem. § 14 Abs. 1 TzBfG beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre beschränkt werden. Die Überschreitung dieser Höchstdauer soll in Ausnahmefällen zulässig sein. Darüber hinaus sehen die Koalitionspartner Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen als notwendige Instrumente an, deren Arbeitgeber nicht gänzlich beraubt werden sollen. Gleichwohl soll der Schutz von Beschäftigten bei grenzüberschreitenden Entsendungen verbessert und bürokratische Hürden abgebaut werden. Geplant sind ein voller Krankenversicherungsschutz für Saisonbeschäftigte ab dem ersten Tag, nebst besserer Aufklärung der Beschäftigten über ihre Rechte.

6. Tarifautonomie & betriebliche Mitbestimmung 

Auch für die Tarif- bzw. Betriebsparteien sieht der jüngst erarbeitete Koalitionsvertrag Änderungen vor. So sollen Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz nur noch durch Tarifvertrag möglich sein. Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes soll dahingehend angepasst werden, dass bei Vergaben des Bundes von den potentiellen Auftragnehmern zukünftig die Bindung an einen repräsentativen Tarifvertrag der jeweiligen Branche nachgewiesen werden muss. Unter welchen Voraussetzungen ein Tarifvertrag das Merkmal „repräsentativ“ anhaftet, bleibt bisher unkonkret. Außerdem sollen die Möglichkeiten zur „Tarifflucht“ bei Betriebsausgliederungen eingeschränkt werden, indem bei Identität des bisherigen Eigentümers die Fortgeltung jeweils geltender Tarifverträge sichergestellt werden soll. Die Koalitionsparteien stellen dabei klar, dass § 613 a BGB „unangetastet“ bleiben soll.

Online-Betriebsratswahlen sollen in einem Pilotprojekt erprobt werden. Entsprechend ihrem analogen Betretungsrecht zum Betrieb aus Art. 9 Abs. 3 GG, sollen Gewerkschaften ein diesem Recht entsprechendes digitales Zutrittsrecht zu den Betrieben erhalten. Die Behinderung oder Störung der Betriebsratsarbeit, die bereits mit Strafe bedroht ist, soll künftig nicht mehr nur auf Antrag, sondern als Offizialdelikt verfolgt werden. Auch das kirchliche Arbeitsrecht soll in Abstimmung mit den Kirchen an das staatliche Arbeitsrecht angeglichen werden, wobei verkündungsnahe Tätigkeiten davon ausgenommen bleiben sollen. Zudem soll die Unternehmensmitbestimmung gestärkt werden. Umgehungsversuchen der Beschneidung der Mitbestimmung durch Zuwachs von SE-Gesellschaften soll ein Riegel vorgeschoben werden. Schließlich soll die Konzernzurechnung des MitbestG zukünftig auch auf den Geltungsbereich des DrittelbG Anwendung finden, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegen sollte.

C. Fazit 

Das Arbeitsrecht verändert sich schnell und stetig, es folgt den Entwicklungen und Notwendigkeiten der Arbeitswelt und geht ihnen manchmal sogar voraus. Die Pandemie hat diese Tatsache noch beschleunigt und dabei durchaus auch positive Effekte: Gerade die Themen der Digitalisierung, der Umsetzung moderner Formen der Arbeit (mobile Arbeit, Abbau von Büroflächen etc.) und grundsätzlicher Fragen der Zusammenarbeit (z. B. arbeitgeberseitige Schutzpflichten, arbeitnehmerseitige Verhaltenspflichten in Pandemiezeiten, Zusammenarbeit der Betriebsparteien) sind im Jahr 2021 in den Fokus des Gesetzebers, der am Arbeitsleben Beteiligten und der Gerichte gerückt und weisen uns den Weg in die Zukunft der Arbeit. Das Team von dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. gestaltet diese Zukunft gemeinsam mit Ihnen auch im Jahr 2022 mit der gewohnten Qualität, Kreativität und Konsequenz.

Ihr Team von

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