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Vorstands-/Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder und Anwaltskosten

Einleitung

Eines der wichtigsten Themen der Haftung von Organen einer Aktiengesellschaft oder z.B. auch einer GmbH ist zur Zeit offen und stark umstritten. Es geht um die Haftung verantwortlicher Vorstände oder Geschäftsführer für Kartellbußgelder und im Zusammenhang mit Kartellen aufgewendete Rechtsanwaltskosten und die Frage, ob diese persönlich von den Organen der betroffenen Gesellschaft zu tragen sind. Die derzeit spezifisch auf das Kartellrecht geführte Diskussion hat darüber hinaus Bedeutung für die Haftung von Vorständen einer Aktiengesellschaft und Geschäftsführern einer GmbH insgesamt. Eine Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom 15.09.2020, hat hierbei Aufsehen erregt. Die Entscheidung liegt nunmehr mit Begründung vor.

Viele Kommentatoren dieser sog. „Villeroy & Boch-Entscheidung“ nutzten die Bekanntgabe des Urteils, um Ihre Positionierung öffentlichkeitswirksam darzulegen, nach der Organe für Bußgelder aus Kartellrechtsverfahren ebenso wenig haften wie für die Kosten der damit in Zusammenhang stehenden Aufklärung, insbesondere Anwaltskosten.

Diese Kommentierungen der Entscheidung, die zu einem Zeitpunkt erfolgte, als deren vollständige Begründung noch nicht veröffentlicht war, erweist sich als vorschnell.

Entscheidung

In der Sache hat die Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken – 7 HKO 6/16 – folgenden Sachverhalt zum Gegenstand:

Die Klägerin ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft, der Beklagte deren ehemaliges Vorstandsmitglied. Die Parteien streiten um Regress- und Schadensersatzansprüche der Klägerin und mehrere ihrer Tochtergesellschaften in Bezug auf ein Kartellverfahren der europäischen Kommission, in dem die Klägerin wegen Kartellverstößen in der Zeit von Oktober 1994 bis November 2004 durch die europäische Kommission erheblich bebußt wurde. Zudem wandte die Klägerin im Verfahren vor der Europäischen Kommission sowie später vor dem Gerichtshof der europäischen Union Mittel für Anwaltskosten auf.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Beklagte als ihr Vorstandsvorsitzender in der Zeit vom Oktober 1994 bis Dezember 1997 Präventions- und Aufsichtspflichten verletzt hat. Der Vorstandsvorsitzende solle daher anteilig (zeitratierlich) für die Kartellbuße (insgesamt 71 Mio €) und die Anwaltskosten (ca 3,3 Mio €) haften. In der bei der Klägerin geltenden Geschäftsordnung besteht die Pflicht des Vorstandsvorsitzenden, sich innerhalb der Gruppe der Klägerin direkt zu informieren. Durch die Anzeige eines Kronzeugen leitete die europäische Kommission im Jahre 2004 Ermittlungen im Zusammenhang mit angenommen Kartellrechtsverstößen von Badarmaturenherstellern in einigen europäischen Ländern ein. Im Jahr 2010 hat die europäische Kommission einen Beschluss veröffentlicht, der kartellrechtswidriges Verhalten der Klägerin und benannter Tochtergesellschaften in Form einer einzigen, fortdauernden und komplexen Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV während des Zeitraums vom 12.10.1994 bis zum 09.11.2004 feststellte.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass Kartellbußen und Anwaltskosten, die bereits gezahlt wurden, grundsätzlich bei den verantwortlichen Organen regressierbar seien. Sie erblickt in Geldbußen und Anwaltskosten kausale Schäden, die durch eine ordnungsgemäße Ausübung der Überwachungspflichten des Vorstandsvorsitzenden verhindert worden wären. Hätte der Vorstandsvorsitzende ein System zur ordnungsgemäßen Belehrung der Mitarbeiter über das Kartellrecht geschaffen, hätten sie nicht an Kartellabreden teilgenommen.

Die Klägerin hat sodann zeitratierlich das Bußgeld sowie die Rechtsanwaltskosten auf die Amtszeit des Vorstandsvorsitzenden aufgeteilt und entsprechend Klage erhoben. Diese wurde voll umfänglich durch das Landgericht Saarbrücken mit Urteil vom 15.09.2020 zurückgewiesen.

Anders als viele schnell verfasste Kommentare nach Veröffentlichung des Urteilstenors jedoch glauben ließen, hat sich das Landgericht Saarbrücken mit der entscheidenden Frage der Haftung von Organmitgliedern für Kartellbußen und in diesem Zusammenhang aufgewendete Rechtsanwaltskosten nicht in der Sache streiterheblich geäußert. Die Schadensersatzklagen wurden letztlich wegen Verjährung abgewiesen.

Das Landgericht Saarbrücken weist darauf hin, dass gem. § 93 Abs. 6 AktG eine taggenaue 5 – Jahres-Frist (bei nicht börsennotierten Unternehmen) gilt, nach deren Ablauf sämtliche Schadensersatzansprüche gegenüber Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft verjährt sind. Der Verjährungsbeginn tritt dabei dann ein, sobald ein Anspruch der Klägerin entstanden ist. Die Verjährungsfrist beginnt gem. § 198 BGB mit der Entstehung des Schadensersatzanspruchs. Entstanden ist der Anspruch, sobald ein Schaden eingetreten und klageweise – zumindest mit einer Feststellungsklage – hätte geltend gemacht werden können. Die Entstehung eines Schadensersatzanspruches ist dann zu bejahen, wenn der Schaden wenigstens dem Grunde nach erwachsen, ferner wenn durch die Verletzungshandlung eine als Schaden anzusehende Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten ist, ohne dass feststehen muss, ob ein Schaden bestehen bleibt oder endgültig wird.

Die Verjährung beginnt folglich zu laufen, sobald ein erster Teilschaden eintritt, der sich bilanziell auswirkt. Auf eine Kenntnis der Geschädigten kommt es hierbei nicht an. § 93 Abs. 6 AktG hat eine kenntnisunabhängige Verjährung zum Gegenstand.

Im vorliegenden Fall wurde mehr als fünf Jahre vor Klageerhebung gegenüber den Vorstandsmitgliedern eine Anwältin beauftragt, zum Auskunftsersuchen der EU-Kommission Stellung zu nehmen. Dieser Schaden, der auch später regressiert werden sollte, ist ein „Teilschaden“ im Sinne des Verjährungsrechts, sodass der Schadensersatzanspruch insgesamt verjährt ist.

Zu der derzeit so kontrovers diskutierten Frage, ob Kartellbußen einen Schaden im Sinne des § 93 AktG, 249 BGB darstellen, äußert sich das Landgericht Saarbrücken nur am Rande.

Das Landgericht führt aus, dass Kartellverstöße dem Unternehmen im Sinne des ArtS 101 AEUV zugerechnet werden und Vorstände nicht Betroffene im Sinne des Art. 101 AEUV sind Das Landgericht Saarbrücken betont in seiner für die Entscheidungsfindung nicht maßgeblichen Aussage lediglich, dass ein Regress aus der Kartellbuße den „nützlichen Effekt“ (effet utile) der Artikel 101, 105 AEUV verletzen würde. Eine Regressierbarkeit von Kartellbußen würde einem Unternehmen das abschreckende Element einer Kartellbuße nehmen. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem deutschen Schadensbegriff enthält das Urteil des Landgerichts Saarbrücken nicht.

Bewertung

Es ist bedauerlich, dass vorschnelle Kommentierungen von Urteilen zu einer Verzerrung der Wahrnehmung der Rechtswirklichkeit führen.

Das vom Landgericht Saarbrücken behandelte Thema ist eines der aktuellsten Themen in der Organhaftung und auch unsere Kanzlei steht bei der Klärung dieser Rechtsfrage an vorderster Stelle. Organhaftungsverfahren unterschiedlichster Ausprägung werden von uns betreut und die Kanzlei verfügt über überdurchschnittliche Erfahrung in Vorstandshaftungsprozessen.

Ein Schadensersatzanspruch gegenüber einem Organ setzt immer voraus, dass durch pflichtwidriges Verhalten kausal ein Schaden entstanden ist. Der Pflichtenkreis eines Organs ergibt sich aus dem Gesetz (z.B. AktG oderGmbHG, der in § 93 AktG fundiert beschriebenen Business Judgement Rule und dem Dienst- und Anstellungsvertrag selbst.

Die Organe einer Kapitalgesellschaft haften der Gesellschaft gegenüber persönlich für ein ordnungsgemäßes Compliance-System in dem verhindert werden soll, dass Mitarbeiter eines Unternehmens sich kartellrechtswidrig verhalten. Selbstverständlich sind diese Erwägungen auch auf andere haftungsträchtige Themenfelder, insbesondere Datenschutzfragen, andere Wettbewerbsfragen, Fragen des Gesundheitsschutzes und der Fürsorgepflicht am Arbeitsplatz auszudehnen.

Hierbei ist zu beachten, dass jede einem Unternehmen gegenüber verhängte Geldbuße nach einfacher schadensrechtlicher Dogmatik einem Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB darstellt.

Die Erwägungen des Landgerichts Saarbrücken, auf die es in der Sache streiterheblich nicht ankommt, zeigen auf, dass an vielen Stellen der Rechtspflege Bedenken dahingehend bestehen, dass die normale schadensrechtliche Dogmatik in Fragen der Vorstandshaftung angewendet werden soll. Diese Bedenken sind jedoch in erster Linie rechtspolitischer Natur und beruhen nicht auf einer gesetzlichen Grundlage. Das Landgericht Saarbrücken setzt sich in keinster Weise mit der deutschen Zivilrechtsdogmatik auseinander. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, wenn es gilt, einen Schadensersatzanspruch zu beurteilen, der auf deutschem AktG beruht. Das Landgericht Saarbrücken setzt sich gerade nicht damit auseinander, dass auch Organe zivilrechtliche Pflichten gegenüber dem Unternehmen haben, welches sie vertreten. Diese Frage gilt es prozesssicher zu beurteilen. Der „effet utile“ beschreibt nur den Grundsatz, eine Norm so auszulegen, dass das Vertragsziel am besten erreicht werden kann. Bevor der Art. 101 AEUV in diesem Sinne ausgelegt werden kann, sind jedoch die Grundsätze deutschen Schadensersatzrechts zu prüfen. Hier drohen die Risiken für die Organe eine Gesellschaft:

Dr. Knut Müller
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Sozialrecht

dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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