www.dkm-rechtsanwaelte.de

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz 2021

I. Einleitung

Auch wenn man den Eindruck hat, dass sich die Legislative in den letzten 1,5 Jahren beinahe ausschließlich mit der grassierenden Corona-Pandemie beschäftigte, warten Fachkreise bereits seit längerem auf diese Novelle. Im letzten Halbjahr dieser Legislaturperiode verabschiedete der Bundestag das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, mit dem das Betriebsverfassungsrecht nach dem Willen des Gesetzgebers an die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts angepasst werden soll, unter gleichzeitiger Erweiterung der Kompetenzen des Betriebsrat. Mit dem am 18.06.2021 in Kraft getretene Gesetz setzt die Bundesregierung eines ihrer im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele um.

II. Änderungen im Einzelnen

Das als Artikelgesetz konzipierte Betriebsrätemodernisierungsgesetz modifiziert das Betriebsverfassungsgesetz an vielen Stellen. In besonderem Maße ist jedoch die Wahl des Betriebsrats von Änderungen betroffen.

1. Wahl des Betriebsrats

a) Senkung des Wahlalters (§ 7 BetrVG)

Während bisher nur Betriebsangehörige und Leiharbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, über das aktive Wahlrecht verfügten, sieht der geänderte § 7 BetrVG fortan vor, dass bereits Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, ihre Stimme zur Betriebsratswahl abgeben dürfen. Das passive Wahlrecht sollen nur diejenigen Mitarbeiter haben, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, wie § 8 BetrVG in seiner neuen Fassung klarstellt.

b) Senkung des Erfordernisses von Stützunterschriften (§ 14 Abs. 4 BetrVG)

Mit Änderung des § 14 Abs. 4 BetrVG a.F. sollen Hürden für Abgabe von Wahlvorschlägen abgebaut werden. Während es bisher regelmäßig der Stützunterschriften eines Zwanzigstel der Belegschaft bedurfte, sollen mit Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes weitaus differenziertere Regelungen wie folgt gelten:

  • Bis 20 Beschäftigte sind Stützunterschriften nicht mehr notwendig.
  • In Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 Wahlberechtigten erfolgt eine pauschale Absenkung auf mindestens zwei Stützunterschriften.

In Betrieben mit 21 bis 100 Wahlberechtigten ist für Vorschläge, die erst auf der Wahlversammlung gemacht werden, keine Schriftform mehr erforderlich. Die erforderliche Unterstützung eines Wahlvorschlags kann in diesem Fall per Handzeichen erfolgen.

c) Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens (§ 14 a Abs. 1, 3 BetrVG)

Bisher bestand bereits gem. § 14 a BetrVG a.F. in Kleinbetrieben die Möglichkeit, Betriebsräte im vereinfachten Wahlverfahren zu wählen. Diese Regelung wurde zum 18.06.2021 ausgeweitet und lässt sich nun auch auf Betriebe anwenden, die im Regelfall fünf bis 100 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigen, § 14 a Abs. 1, 3 BetrVG n.F. Entsprechend der zuvor genannten Anhebung der Schwellenwerte, wird es den Betriebsparteien zukünftig ermöglicht, eine Vereinbarung über das vereinfachte Wahlverfahren zu treffen, wenn sich die Betriebsgröße im Bereich von 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern bewegt.

2. Anfechtung der Betriebsratswahl (§ 19 Abs. 3 BetrVG)

Insbesondere für die wahlberechtigten Betriebsangehörigen bringt der neu geschaffene § 19 Abs. 3 BetrVG wesentliche Neuerungen. Eine Anfechtung der Betriebsratswahl durch die Wahlberechtigten wird durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erheblich eingeschränkt. Die Anfechtung durch die Wahlberechtigen lässt sich fortan nicht mehr auf fehlerhafte Wählerlisten stützen, sofern nicht vorab aus demselben Grund ordnungsgemäß Einspruch eingelegt wurde, es sei denn die Wahlberechtigten waren an der Einlegung des Einspruchs gehindert. Darüber hinaus wird auch der Arbeitgeber an der Anfechtung, die sich auf unrichtige Wählerlisten stützt, gehindert, sofern die Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht.

3. Betriebsratsarbeit – virtuelle Betriebsratssitzungen (§ 30 Abs. 2, 3 BetrVG)

Neben einer Modifizierung der Betriebsratswahl, verfolgt das Betriebsrätemodernisierungsgesetz ebenfalls das Ziel, die Arbeit des Betriebsrats an eine digitale Arbeitswelt anzupassen. Betriebsratssitzungen sollen auf Basis des erweiterten § 30 BetrVG nun dauerhaft per Video- oder Telefonkonferenz zulässig sein.

Da aber weiterhin die Präsenzsitzung vom Gesetzgeber als die reguläre Form angesehen wird und sichergestellt werden muss, dass Dritte vom Inhalt der Betriebsratssitzung keine Kenntnis erhalten, sehen die neuen Rehgelungen in § 30 Abs. 2 und 3 BetrVG folgende Voraussetzungen vor:

  • Der Betriebsrat legt in einer Geschäftsordnung die Rahmenbedingungen für Video- und Telefonkonferenzen unter Wahrung des Vorrangs von Präsenzsitzungen fest.
  • Es liegt kein Widerspruch von einem Viertel der Mitglieder des Betriebsrats vor. Der Vorsitzende hat mit der Einladung darauf hinzuweisen, dass und in welcher Weise die Nutzung einer Video- und Telefonkonferenz beabsichtigt ist. Dabei muss er eine angemessene Frist zum Widerspruch zu setzen. Der Widerspruch hat gegenüber dem Vorsitzenden zu erfolgen. Er ist nicht formgebunden.
  • Sicherstellung der Nichtöffentlichkeit.

Konsequenterweise gelten nach § 33 Absatz 1 Satz 2 BetrVG n.F. Mitglieder, die per Video- oder Telefonkonferenz einer Betriebssitzung zugeschaltet werden als anwesend, was eine Beschlussfassung auch in digitaler bzw. hybrider Form ermöglicht. Zu beachten gilt, dass im Falle einer Zuschaltung von Betriebsratsmitgliedern per Video- oder Telefon, diese ihre Teilnahme dem Vorsitzenden in Textform zu bestätigen haben (E-Mail, Kurznachricht, etc.) und diese Bestätigung der Niederschrift beizufügen ist, wie es der geänderte § 34 Abs. 1 BetrVG seit seiner Novellierung verlangt. Die vorgenannten Regelungen zur Betriebsratssitzung gelten nach § 51 Abs. 3 BetrVG n.F. ebenfalls für den Gesamtbetriebsrat.

4. Mitbestimmung bei mobiler Arbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG)

Äußerst praxisrelevant und aktuell ist die Einführung des neuen Mitbestimmungstatbestandes des § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG. Betriebsräte können künftig bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit mitbestimmen. Das „Ob“ der mobilen Arbeit verbleibt in der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers, das „Wie“ ist mitbestimmt, d. h. Betriebsräte sollen bei der inhaltlichen Ausgestaltung der mobilen Arbeit mitbestimmen dürfen. Dazu gehören Regelungen über den zeitlichen Umfang mobiler Arbeit, über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in Bezug auf mobile Arbeit oder über den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden kann und darf. Aber auch Regelungen zu konkreten Anwesenheitspflichten in der Betriebsstätte des Arbeitgebers, zur Erreichbarkeit, zum Umgang mit Arbeitsmitteln der mobilen Arbeit und über einzuhaltende Sicherheitsaspekte gehören zu den mitbestimmungspflichtigen Themen.

5. Datenschutz (§ 79a BetrVG)

Während bisher teilweise umstritten war, ob der Betriebsrat als Datenschutzverantwortlicher i.S.d. DSGVO anzusehen ist, stellt der neu einzufügende § 79 a BetrVG nunmehr klar, dass allein der Arbeitgeber für Verarbeitung von Daten als Verantwortlicher gilt.

6. Künstliche Intelligenz (§ 80 Abs. 3 BetrVG; § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG; § 95 Abs. 2a BetrVG)

Seiner Zeit beinahe schon etwas voraus, trifft der Gesetzgeber mit seiner Gesetzesnovelle auch Regelungen zur künstlichen Intelligenz. Dem Betriebsrat wird fortan das Recht zugestanden, einen Sachverständigen hinzuzuziehen, soweit dieser bei der Erfüllung seiner allgemeinen Aufgaben die Einführung oder Anwendung von künstlicher Intelligenz beurteilen soll, § 80 Abs. 3 a.E. BetrVG n.F. In diesem Zusammenhang steht dem Betriebsrat nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG n.F. ein Informationsrecht im Hinblick auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu, ebenso wie ein Mitbestimmungsrecht beim Aufstellen von Richtlinien unter Einsatz künstlicher Intelligenz, § 95 Abs. 2a BetrVG.

7. Berufliche Weiterbildung (§ 96Abs. 1a BetrVG)

Der Intention des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes folgend, macht der Gesetzgeber auch nicht vor den Regelungen zur Einigungsstelle und zur Betriebsvereinbarung des Betriebsrats halt. Mit Inkrafttreten der Änderungen des BetrVG wird ein weiterer Tatbestand geschaffen, bei dessen vorliegen die Einigungsstelle angerufen werden kann. Können sich die Betriebsparteien nicht nach § 96 Abs. 1 BetrVG auf Maßnahmen zur Berufsausbildungsförderung einigen, kann nach dem neu geschaffenen § 96 Abs. 1a BetrVG die Einigungsstelle um Vermittlung angerufen werden. Die Einigungsstelle übernimmt in diesem Fall eine moderierende Funktion zwischen den Parteien und versucht, auf eine Einigung hinzuwirken. Ein Einigungszwang besteht nicht.

8. Elektronische Signatur (§ 76 Abs. 3 BetrVG; § 112 Abs. 1 BetrVG)

Es ist nun möglich, Beschlüsse der Einigungsstelle elektronisch niederzulegen, sofern diese mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 126 a Abs. 1 BGB) versehen sind, § 76 Abs. 3 BetrVG n.F. Elektronisch geschlossene Betriebsvereinbarungen sind entgegen der Vorschriften des § 126 a Abs. 2 BGB auf einem Dokument zu signieren. Im Übrigen gelten die Regelungen zur elektronischen Signatur von Betriebsvereinbarungen fortan auch für Interessensausgleich und Sozialplan, § 112 Abs. 1 BetrVG n.F.

9. Kündigungsschutz (§ 15 Abs. 3a KSchG)

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz will den Kündigungsschutz für Beschäftigte verbessern, die erstmals einen Betriebsrat gründen möchten.

Mit der vorgesehenen Änderung des Kündigungsschutzgesetzes erhalten die Vorfeld-Initiatoren erstmals einen speziellen befristeten Kündigungsschutz vor personen- und verhaltensbedingten ordentlichen (nicht fristlosen!) Kündigungen, wenn sie eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben haben, dass sie einen Betriebsrat gründen möchten, und auch entsprechende Vorbereitungshandlungen dafür unternommen haben.

III. Fazit

Das nun geänderte Betriebsverfassungsgesetz zeugt von der Zielsetzung des Gesetzgebers, die Arbeit des Betriebsrat in die digitale Gegenwart zu überführen und soll zugleich die Errichtung von Betriebsräten erleichtern. Wie so häufig ist auch dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz anzusehen, dass an vielen Stellen der Wunsch Vater des Gedanken war. Sind die Regelungen zur Durchführung digitaler bzw. hybrider Betriebsratssitzungen eindeutig ein Schritt in die richtige Richtung, ist die Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens kritisch zu hinterfragen. So gehen mit dem vereinfachten Wahlverfahren auch verkürzte Fristen einher, weiterhin ist dieses aufgrund seiner Komplexität fehleranfällig. Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Umsetzung von mobiler Arbeit bildet die aktuelle betriebliche Realität – zumindest in großen Unternehmen – ab und schafft Rechtsklarheit bei den Betriebsparteien. Die Erleichterung im Hinblick auf den elektronischen Abschluss von Vereinbarungen sowie die digitale Speicherung von Niederschriften ist vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung richtig, auch wenn derzeit der Aufwand, der betrieben werden muss, um mit einer qualifizierten elektronische Signatur rechtskonform zu zeichnen, der Anwendung in der Praxis vielfach noch entgegenstehen dürfte.

Felix Kratz
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
Wolfratshauser Straße 50
81379 München

+49 89 242166-0

buero@dkm-rechtsanwaelte.de
www.dkm-rechtsanwaelte.de