Interview in: DIE WELT –
SMART RECHTSGUIDE 2021 vom 27.05.2021
Betriebliche Restrukturierung – rechtzeitig vorbereiten
Derzeit werden durch Corona-Hilfen, die bevorstehende Bundestagswahl und die flächendeckende Gewährung von Kurzarbeitergeld Schwächen in den Betrieben verdeckt. Viele Unternehmen werden ihre Organisation und Prozesse verändern müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Rechtsanwalt Dr. Knut Müller, Gründer der dkm Rechtsanwälte – Kanzlei für Arbeitsrecht in München, beleuchtet, wie Restrukturierungsmaßnahmen jetzt vorbereitet werden können – und die spätere Durchführung der Restrukturierung arbeits- und insbesondere betriebsverfassungsrechtlich zukünftig zu begleiten ist.
Dr. Knut Müller
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht,
Fachanwalt für Sozialrecht
Herr Dr. Knut Müller, viele Unternehmen haben spätestens durch die Coronakrise begriffen, dass sie sich wandeln müssen. Was konkret sind die schwierigsten Punkte, wenn man eine Restrukturierung durchführen will?
Die Schwierigkeit in der Durchführung einer Restrukturierung liegt in der Konkretheit der Planung. Unternehmen brauchen klare Entscheidungen und klare Zielbilder, um sich den zukünftigen Herausforderungen des Marktes zu stellen. Das Arbeitsrecht ist hierbei nur ein Teil des großen Ganzen, was im Rahmen betrieblicher Restrukturierungen zu bedenken ist. Selbstverständlich sind aufsichtsrechtliche Anforderungen, gesetzliche Vorgaben, das Steuerrecht und weitere Themen zu bedenken, bevor eine betriebliche Restrukturierung arbeitsrechtlich angegangen werden kann. Arbeitsrechtlich ist der Erfolg zunächst von der korrekten Aufnahme des Ist-Zustandes abhängig. Daneben ist eine konkrete Definition des Zielbildes erforderlich – und die Beschreibung des Weges vom Ist-Zustand zur Soll-Situation. Große Bedeutung hat die rechtzeitige und ehrliche Einbindung der wesentlichen Interessenvertreter: innen, dies bezieht sich sowohl auf die Arbeitnehmervertreter:innen im Aufsichtsrat als auch auf die Betriebsrät:innen. Konkrete Verantwortungen sind festzulegen, einzelne Prozessschritte klar zu definieren und bezüglich eines jeden Prozessschrittes ist ein Eskalationsszenario einzuplanen. Je besser die Eskalationsszenarien geplant sind, je eher wird es in der Praxis möglich sein, Eskalation zu vermeiden.
Sie sind sowohl Fachanwalt für Arbeits- aber auch für Sozialrecht. Müssen Umstrukturierungen zwangsläufig zum Verlust von Arbeitsplätzen führen – und wie schützt das soziale Sicherungssystem Arbeitnehmer:innen vor dem Verlust ihrer Existenz?
Die betriebliche Umstrukturierung erfolgt zunächst in der Planung abstrakt vom Mitarbeitenden. Wenn die Betriebsorganisation steht, Aufgaben einzelnen Organisationen zugewiesen und Personalkapazitäten berechnet sind, kann
der einzelne Arbeitnehmende betrachtet werden. Organisationen werden nicht um Arbeitnehmende errichtet, sondern die Organisation des Unternehmens folgt dessen Strategie, Zielen und Interessen. Dies bedeutet auch, dass der Blick für den Erhalt von individuellen Arbeitsverhältnissen geöffnet wird. Hat der Unternehmer die mitarbeiterunabhängige Organisationsplanung abgeschlossen, ist die Transformation der Mitarbeitenden in die Organisation zu planen. Dies kann ohne Kündigungen gelingen, denn die Mitarbeitenden sind eine entscheidende Ressource für die Betriebe. Häufig ist es eine gute Investition in die Zukunft, Mitarbeitende zu halten und eben nicht abzubauen. Gelingt das nicht, haben die betroffenen Arbeitnehmenden selbstverständlich den Schutz der sozialen Förderung der SGB III und auch die Unterstützung der Arbeitsagenturen bei der Weitervermittlung. Auch die Unternehmen selbst haben die Möglichkeit, über Transfergesellschafen, die Nutzung von Transfer-Kurzarbeitergeld und die staatlich geförderten Qualifizierungsmaßnahmen den betroffenen Arbeitnehmenden zu helfen und sie so wieder in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern.
Restrukturierungen betreffen alle Mitarbeitenden – auch jene, die im Unternehmen bleiben. Wird das gerne übersehen?
Ja, dies ist in jeder Verhandlung, ob auf der Ebene eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung, ein entscheidender Punkt. Arbeitnehmervertreter kämpfen um hohe Abfindungen für die ausscheidenden Mitarbeitenden. Diese müssen jedoch von den verbleibenden Mitarbeitenden verdient werden. Es geht nicht nur um den Schutz der Mitarbeitenden, die das Unternehmen verlassen müssen, es geht in Verhandlungen über betriebliche Restrukturierungen auch und in erster Linie um die zukunftsfähige Gestaltung des verbleibenden Betriebes, um die Eröffnung von Marktchancen und um die Sicherheit der Arbeitsplätze in der Zukunft.
Können Sie mit der Durchsetzung oder dem Aufzeigen arbeitsrechtlicher Schritte auch Ängste nehmen? Mitunter sind Anwält:innen, die auf ein Einhalten des Rechts pochen, ja wie ein letzter Anker, wenn das Unternehmen buchstäblich auf den Kopf gestellt wird.
Das Arbeitsrecht hilft in einer betrieblichen Restrukturierung den Prozess transparent und vertrauensvoll umzusetzen. Ergebnisse von Restrukturierungen werden leichter akzeptiert, wenn die Verfahrensregeln, wie es zu diesen Ergebnissen kommt, transparent sind und in einem offenen Verfahren erklärt werden. Die Arbeitsrechtlerin hilft folglich dabei, das Verfahren so zu gestalten, dass Eskalationen vermieden, wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden können und Regelungen vereinbart werden, die klar verständlich Prozesse erklären und Zukunftsängste nehmen.
Inwieweit agieren Sie als Anwalt im Kreuzfeuer zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen? Gibt es ein Patentrezept, um Restrukturierungen für beide Seiten zufriedenstellend durchzuführen?
Ja, das Patentrezept liegt in Vertrauen, Transparenz, Offenheit und Verständnis für die jeweilige Gegenseite. Jede Form von Ideologie stört den Prozess, verhindert schnelle Lösungen und führt im Ergebnis zu einer Emotionalisierung. Eine betriebliche Restrukturierung verfolgt nicht das Ziel, Mitarbeitenden weh zu tun, erfordert aber vom Arbeitgebenden auch das Verständnis, dass die unternehmerisch notwendige Maßnahme sozial und wirtschaftlich einschneidende Folgen für die Betroffenen haben kann. Es ist nicht die Durchsetzung des Rechts, die eine Restrukturierung gelingen lässt, sondern die Akzeptanz der wechselseitigen Interessen.
Wie kann eine Mitbestimmung auf Unternehmens- und andererseits auch auf Betriebsebene funktionieren?
Eine erfolgreiche betriebliche Restrukturierung setzt voraus, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig und umfassend über die Notwendigkeit und die Hintergründe der Restrukturierung zu informieren, die Abläufe mit diesem rechtzeitig zu besprechen und insbesondere das Arbeitsverhältnis nicht nur als formale Vertragsbeziehung zwischen einem Arbeitgebenden und einem Arbeitnehmenden zu begreifen, sondern als soziale Beziehung, die auf viele Jahre hin angelegt ist und deren Beendigung für alle Beteiligten gravierende Folgen haben kann. Mitbestimmung bedeutet, das Miteinander konstruktiv anzunehmen.
Mit der Sozialauswahl, die unter anderem Alter, Betriebszugehörigkeit und Handikaps bewertet, kann ein Betrieb schneller gesunden?
Die Sozialauswahl ersetzt im Rahmen der betrieblichen Restrukturierung die ansonsten übliche Interessenabwägung zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Die Rechtsordnung akzeptiert die betriebliche Restrukturierung als freie unternehmerische Entscheidung und die Sozialauswahl erlaubt es, zukunftsfähige Unternehmen zu gestalten, wettbewerbsfähige Mitarbeitergruppen zusammen zu stellen und wirklich die Schutzbedürftigsten zu schützen.
Quelle: DIE WELT Smart Rechtsguide 2021, 27.05.2021