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Kopftuchverbot ja, aber…
EuGH Urteil vom 15.07.2021 – Az. C-804/18, C-341/19
I. Einleitung
Ein Klassiker der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Frage, ob und wann der Arbeitgeber das Tragen von religiösen Kennzeichen verbieten darf und inwieweit Mitarbeiter ihre Überzeugungen nach außen tragen dürfen, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Trotz des hohen grundrechtlichen Schutzes, den die Religionsfreiheit auf nationaler und europäischer Ebene genießt, gilt dieser jedoch nicht schrankenlos. So wurde und wird im Einzelfall immer wieder darüber gestritten, ob bspw. Rechtsreferendarinnen das Tragen des Kopftuchs im Gerichtssaal untersagt werden darf oder ob ein Kundendienstmitarbeiter die Verwendung christlicher Grußformeln im Telefongespräch zu unterlassen hat. Im Rahmen der Entscheidung über die europarechtskonformen Auslegung der Richtlinie 2000/78 hat der EuGH nun Grundsätze für etwaige Verbote am Arbeitsplatz entwickelt und seine bisherige Rechtsprechung konkretisiert.
II. Sachverhalt
Die Klägerinnen, eine Beschäftigte im Gesundheitswesen und eine Kassiererin, trugen während der Arbeitszeit ein islamisches Kopftuch. Während die erste Klägerin von ihrem Arbeitgeber mit Verweis auf die arbeitgeberseitige Politik der politischen und weltanschaulichen Neutralität aufgefordert wurde, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen und nach Weigerung schließlich abgemahnt sowie von Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt wurde, wies die Arbeitgeberin der zweiten Klägerin dieser zunächst eine Stelle zu, auf der es ihr erlaubt war, ihr Kopftuch zu tragen. In der Folge erteilte die Arbeitgeberin der zweiten Klägerin jedoch dann die Weisung, nach Hause zu gehen und ohne auffällige großflächige Zeichen religiöser Bekenntnisse an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Klägerinnen begehrten vor den nationalen Gerichten einerseits die Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte, sowie andererseits die Feststellung der Unwirksamkeit der erteilten Weisung und Schadensersatz. Die angerufenen Gerichte ersuchten den EuGH um Auslegung der Richtlinie 2000/78 und legten insbesondere die Frage vor, inwieweit durch interne Regelungen zum Verbot religiöser, politischer und weltanschaulicher Symbolik eine Diskriminierung vorliegt und unter welchen Voraussetzungen eine solche gerechtfertigt sein kann.
III. Rechtliche Würdigung
Der EuGH verwies zunächst auf seine Rechtsprechung, nach der ein für alle Mitarbeiter gleichermaßen geltendes Verbot des nach außen hin erkennbaren Tragens religiöser, politischer oder weltanschaulicher Symbolik im Grundsatz keine unmittelbare Diskriminierung darstelle (EuGH, Urteil v. 14.03.2017 – C-157/15). So wurden im vorliegenden Fall nicht nur muslimische Mitarbeiter aufgefordert, ihre religiösen Kopfbedeckungen abzunehmen, sondern es wurde auch einer Mitarbeiterin christlichen Glaubens untersagt, sichtbar ein Kreuz zu tragen. In einem zweiten Schritt befand der EuGH jedoch, dass aufgrund des Verbots o.g. Symbolik, eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion bzw. Weltanschauung vorliegt – diese kann gerechtfertigt sein. Eine vom Arbeitgeber verfolgte Politik der Neutralität kann, so der EuGH, ein rechtmäßiges Ziel sein. Das Ziel allein soll nach Ansicht des Gerichts allerdings noch nicht zur Rechtfertigung genügen. Vielmehr muss arbeitgeberseitig ein wirkliches Bedürfnis nach einem entsprechenden Verbot festgestellt werden können. Zur Beurteilung gibt der EuGH dem Rechtsanwender u.a. vor, berechtigte Erwartungen der Kunden bzw. Eltern oder Nutzer hinsichtlich religiöser oder weltanschaulicher Neutralität zu berücksichtigen. Von besonderer Bedeutung soll weiterhin sein, dass der Arbeitgeber nachweist, dass ohne die Neutralitätspolitik, im Hinblick auf seine unternehmerische Freiheit einschränkende Nachteile für ihn erwachsen würden. In einem dritten Schritt prüfte der EuGH, ob das Symbol-Verbot nur dann geeignet ist, um die unternehmensinterne Neutralitätspolitik sicherzustellen, wenn jedwede Ausdrucksform religiöser, weltanschaulicher oder politischer Überzeugungen umfasst ist oder ob eine Beschränkung auf großflächige Zeichen genügt. Ein derartiges begrenztes Verbot würde nach Ansicht des EuGH eine nicht zu rechtfertigende unmittelbare Diskriminierung darstellen; schließlich würden jene Arbeitnehmer, die aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses gewisse Kleidervorschriften, wie etwa das Tragen eines Kopftuches, einhalten, gegenüber Angehörigen anderer Glaubensrichtungen ohne solche Vorschriften schlechter gestellt. Zuletzt entschied der Gerichtshof, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit des Einzelnen schützen, bei der Prüfung ob eine mittelbare Diskriminierung als angemessen zu rechtfertigen sei, als günstigere Vorschriften berücksichtigt werden dürfen. Unter diesem Aspekt haben die nationalen Gerichte die verschiedenen Rechte und Freiheiten bei der Abwägung dergestalt zu berücksichtigen, dass unter Wahrung der widerstreitenden Interessen die Beschränkung der in Rede stehenden Freiheiten auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt bleibt.
IV. Praxishinweise
Nach der Entscheidung des EuGH bleibt festzuhalten, dass ein Verbot religiöser, weltanschaulicher und politischer Symbole am Arbeitsplatz grundsätzlich möglich ist. Ein solches muss jedoch einerseits uneingeschränkt für alle Mitarbeiter gleichermaßen gelten, andererseits darf dieses nicht nur auf großflächige oder besonders auffällige Kennzeichen beschränkt sein. Die sich aus einem Verbot ergebende mittelbare Diskriminierung kann dann gerechtfertigt werden, wenn der Arbeitgeber eine Unternehmenspolitik der Neutralität verfolgt und eine solche auch von seinen Kunden erwartet wird. Der Spruch des Gerichtshofs beschränkt sich jedoch nicht auf privatrechtlich organisierte Unternehmen; vielmehr ist ein solches Kennzeichenverbot auch für Schulen und weitere öffentliche Einrichtungen möglich, z.B. wenn Eltern die Erwartung an den Lehrkörper stellen, dass ihre Kinder nicht religiös, weltanschaulich oder politisch beeinflusst werden. Wann ein Arbeitgeber ein wirkliches Bedürfnis nach einem generellen Verbot hat, wird die nationale Rechtsprechung zeigen müssen, ebenso inwieweit nationales Recht zum Schutz des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist.
Felix Kratz
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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