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Die verspätete Zielvorgabe – ein Kompass ohne Norden?
LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024 – 4 Sa 390/23
I. Einleitung
Bei der variablen Vergütung im Arbeitsrecht spielen Zielvorgaben und Zielvereinbarungen eine bedeutende Rolle. Es ist entscheidend, dass die gesetzten Ziele spezifisch, messbar, erreichbar, realistisch und zeitgebunden sind. Zu differenzieren ist rechtlich insbesondere, ob die Ziele einseitig vom Arbeitgeber festgelegt (= Zielvorgaben) oder im Rahmen einer echten Zielvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen werden. Bei Zielvereinbarungen handelt es sich um vertragliche Vereinbarungen, in denen konkrete Ziele und Erwartungen bezüglich Leistung, Verhalten oder Ergebnissen festgelegt werden, die der Arbeitnehmer innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreichen oder erfüllen soll.
II. Sachverhalt
Die Parteien stritten über eine Forderung auf Schadensersatz aufgrund verspäteter Zielvorgaben für das Jahr 2019. Der Kläger bekleidete die Position des Head of Advertising bei der Beklagten. Gemäß Arbeitsvertrag setzte sich sein Gehalt aus einem festen und einem variablen Anteil zusammen. Zum 1. Januar 2019 hatte die Beklagte die variable Vergütung durch eine Betriebsvereinbarung angepasst. Gemäß dieser Vereinbarung sollten die Ziele für die jährliche variable Vergütung des Klägers bis zum 1. März festgelegt werden. Im Verlauf des Geschäftsjahres 2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Führungskräften die Ziele für die variable Vergütung am 26. September 2019 mit. Diese umfassten ein Umsatzziel (35%), ein EBITDA-Ziel (35%) sowie ein individuelles Ziel (30 %). Der Kläger kündigte zum 30. November 2019, woraufhin die beklagte Arbeitgeberin dem Kläger einen anteiligen Bonus auszahlte. Mit seiner Klage forderte der Kläger die ausstehende Summe ein, die zum Erreichen der 100% ausstand.
III. Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Es argumentierte, dass die Zielvorgaben für das Geschäftsjahr 2019 im Herbst 2019 und damit noch innerhalb der Zielperiode erfolgten und somit nicht unmöglich geworden seien. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein.
Das LAG Köln entschied zugunsten des Klägers. Es urteilte, dass der Kläger einen Schadensersatzanspruch in der geforderten Höhe aufgrund der nicht rechtzeitig erfolgten Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2019 habe. Der Kläger könne Schadensersatz statt der Leistung verlangen, da eine einseitige Zielvorgabe aufgrund des Zeitablaufs unmöglich geworden sei. Das LAG Köln bezog sich auf die etablierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 12.12.2007 – 10 AZR 97/07), wonach eine Zielvereinbarung spätestens nach Ablauf des Zeitraums, für den zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren sind, nicht mehr möglich sei. Eine Zielvereinbarung könne danach nur dann ihre Anreizfunktion erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kenne. Das LAG Köln sah diese Prinzipien auch auf die einseitige Zielvorgabe übertragen und entwickelte diese weiter, indem es feststellte, dass eine fehlende oder sogar nur verspätete Zielvorgabe innerhalb der Zielperiode genauso wie eine nicht abgeschlossene Zielvereinbarung einen Schadensersatzanspruch zulasten des Arbeitgebers auslöse.
Anders als bei einer Zielvereinbarung gebe es bei der Zielvorgabe kein anspruchsreduzierendes Mitverschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 254 BGB, da die Ziele einseitig vom Arbeitgeber festgelegt werden, die Initiativlast allein bei diesem liege. Eine gerichtliche Festlegung der angemessenen Höhe des Anspruchs nach § 315 Abs. 3 BGB sei ausgeschlossen. Wenn Ziele zu spät im Geschäftsjahr festgelegt werden und ihre Anreizfunktion verlieren, werden sie behandelt, als seien sie gar nicht erfolgt. Arbeitnehmer haben damit grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen tatsächlich gezahltem Bonus und der variablen Vergütung bei hundertprozentiger Zielerreichung. Nur unter besonderen Umständen kann der Anspruch gekürzt werden.
IV. Praxishinweise und Fazit
Das Urteil des LAG Köln trägt wesentlich zur Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Bereich der Zielvorgaben bei. Es betont die Wichtigkeit einer klaren und rechtzeitigen Festlegung von Zielen im Arbeitsverhältnis und verdeutlicht, dass eine verspätete oder fehlende Zielvorgabe nicht nur die Motivation der Mitarbeiter beeinträchtigen, sondern auch rechtliche Konsequenzen für den Arbeitgeber haben kann. Es wird daher empfohlen, vertraglich festgelegte Fristen für Zielvorgaben einzuhalten, um rechtliche Risiken zu minimieren. Unternehmen sollten ihre Prozesse zur Zielsetzung und -kommunikation daher überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um Konflikte zu vermeiden und ein produktives Arbeitsumfeld zu gewährleisten.
Jasna Smajic
Rechtsanwältin
dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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