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Entscheidungsgründe zur Zeiterfassung – keine Überraschung

BAG, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21

Das BAG hat am 13.09.2022 für viel Aufsehen gesorgt. Es veröffentlichte die Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung und hat im Rahmen seiner Pressemitteilung vom gleichen Tage deutlich gemacht, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Die Entscheidung des BAG liegt nunmehr im Volltext vor – Überraschungen oder neue Erkenntnisse blieben aus.

I. Sachverhalt

Die Beteiligten haben im Ergebnis über die Frage gestritten, ob einem Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems zusteht. Das Erstgericht hat in dieser Frage ein Initiativrecht des Betriebsrats abgelehnt, die Beschwerdeinstanz (LAG Hamm – 7 TaBV 79/20) hatte ein Initiativrecht bejaht.

II. Entscheidung

Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems zusteht, da eine gesetzliche Verpflichtung besteht, ein Zeiterfassungssystem vorzuhalten.

Bereits die Entscheidung der Vorinstanz hatte für viel Aufsehen gesorgt. Das LAG Hamm ging davon aus, dass ein Betriebsrat im Bereich der „echten Mitbestimmung des § 87 BetrVG“ auch ein Initiativrecht bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat. Hiermit hat sich das LAG Hamm zunächst gegen das Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 18.11.1989 ¬ 1 ABR 97/88) gestellt. Das BAG hatte damals entschieden, dass ein Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung nicht in Betracht kommt, da ein Eingriff in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung einer anonymen technischen Kontrolleinrichtung nur unter Wahrung der Mitbestimmung des Betriebsrates zulässig sei. Damit komme diesem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates eine Abwehrfunktion gegenüber der Einführung technischer Kontrolleinrichtungen zu. Dieser Zweckbestimmung widerspräche es, wenn der Betriebsrat selbst deren Einführung verlangen könnte.

Das LAG Hamm hingegen hat klargestellt, dass der Betriebsrat ein umfassendes Initiativrecht zu sämtlichen in § 87 geregelten Regelungsgegenständen hat. Diese für Betriebsräte so wichtige Aussage wird durch das BAG nicht infrage gestellt oder anders beurteilt. Hierauf kam es allerdings aus der Sicht des BAG auch nicht an.

Das BAG hat sich in seinem Beschluss vom 13.09.2022 ausschließlich mit der Frage beschäftigt, ob ein mögliches Initiativrecht des Betriebsrates deswegen nicht bestehen würde, weil eine gesetzliche Regelung bereits besteht. Der Einleitungssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG lautet: „Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen …

Das BAG hat in seinem Beschluss klargestellt, dass für den Arbeitgeber bereits eine bindende gesetzliche Verpflichtung zur Vornahme einer bestimmten betrieblichen Maßnahme (Vorhalten von Arbeitszeiterfassung) aufgrund von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG besteht und somit kein Raum mehr für ein darauf gerichtetes Initiativrecht des Betriebsrats besteht.

Dieser Gedanke ließ sich auch bereits aus dem Urteilstenor und der Pressemitteilung entnehmen. Bei der Ausgestaltung des entsprechenden Systems hat der Betriebsrat selbstverständlich ein umfassendes Mitgestaltungs- und Mitbestimmungsrecht, was unmittelbar aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG folgt. Das BAG hatte nicht über den Inhalt des Mitbestimmungsrechts, sondern ausschließlich über das Initiativrecht zu entscheiden.

Der Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen und hierbei auf technische Kontrolleinrichtungen zurückzugreifen. Dem Arbeitgeber steht es frei, diese Verpflichtung an die Arbeitnehmer zu delegieren. Wesentlich wird sein, dass der Arbeitgeber Transparenz bezüglich des geltenden Systems herstellt, Verantwortlichkeiten in diesem Zusammenhang klar verteilt und ein wirksames System zur Überwachung der Einhaltung der aufgestellten Regelungen bereitstellt.

Öffentlich-rechtlich betrachtet hat das Arbeitszeiterfassungssystem auch über den gesetzlichen Anwendungsbereich des BetrVG hinauszugehen. Insbesondere sind leitende Angestellte ebenso einzubeziehen, wie Fremdgeschäftsführer auf die zwar nicht das Arbeitszeitgesetz aber wohl das Arbeitsschutzgesetz möglicherweise anzuwenden ist. Dieser Gedanke kann streitig diskutiert werden, da die Anwendung des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes auf Fremdgeschäftsführer nicht abschließend geklärt ist. Immer dann, wenn europarechtliche Grundlagen berührt sind, sollte es jedoch auf den erweiterten europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff ankommen.

Die Entscheidung des BAGfordert folglich vom Arbeitgeber ein organisatorisches Handeln und insbesondere eine Überprüfung von widersprechenden betrieblichen Regelungen, insbesondere im Bereich mobiler Arbeit. „Zeitsouveränität und Vertrauensarbeit“ wird durch die Entscheidung des BAG nicht verboten, entscheidend wird es darauf ankommen, dass die Arbeitgeber eine konsequente Ausgestaltung und transparente Darlegung ihrer Zeiterfassung innerbetrieblich schaffen und entsprechende Verantwortlichkeiten delegieren.

Bedeutsam bleibt der gesamte Rechtsstreit auch dahingehend, dass Betriebsräten auch im Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 6 ein Initiativrecht dann zusteht, solange gesetzlich noch Raum für eigene Initiativen des Betriebsrates bestehen. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist nicht nur ein Abwehrrecht!

Dr. Knut Müller
Rechtsanwalt I Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht I Partner

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