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EuGH stärkt Rechte schwangerer Personen
EuGH, Urteil vom 27.6.2024 – C-284/23
Bei der Erhebung einer Klage gegen eine ausgesprochene Kündigung ist die Beachtung von Fristen entscheidend. § 4 S. 1 KSchG sieht vor, die Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Verstreicht diese Frist, ist eine Klage einer schwangeren Person nach § 5 KSchG nur dann zulässig, wenn die schwangere Person, die erst nach Ablauf der genannten Dreiwochenfrist von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt hat, einen entsprechenden Antrag auf Zulassung einer verspätete Klage stellt. Dieser Antrag muss nach § 5 Abs. 3 KSchG innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis über die Schwangerschaft gestellt werden.
Das angerufene Arbeitsgericht fragte sich nun, ob die vorstehende deutsche Regelung mit der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz vereinbar ist. Es hat daher den Europäischen Gerichtshof hierzu befragt.
Sachverhalt
Eine befristet beschäftigte Pflegehelferin wurde im Oktober 2022 durch ihren Arbeitgeber gekündigt, zu einem Zeitpunkt, zu welchem sie keine Kenntnis einer Schwangerschaft hatte. Erst im November wurde bei ihr eine Schwangerschaft in der siebten Schwangerschaftswoche festgestellt und unterrichtete hierüber ihren Arbeitgeber. Im Dezember 2022 reichte sie Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein, mit der Begründung des Vorliegens einer Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt. Das Arbeitsgericht war der Auffassung, dass es die Klage normalerweise aufgrund der vorstehenden Regelungen aus § 5 KSchG als verspätet abweisen müsse. Als die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt und die Klage erhoben habe, sei nämlich die im deutschen Recht vorgesehene ordentliche Frist – drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung – bereits verstrichen gewesen. Überdies habe die Arbeitnehmerin es versäumt, innerhalb der im deutschen Recht vorgesehenen weiteren Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der Schwangerschaft einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage zu stellen. Das angerufene Arbeitsgericht fragte sich nun, ob die vorstehende deutsche Regelung mit der Richtlinie 92/85/EWG vereinbart ist und legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
Der Europäische Gerichtshof stellt nun fest, dass nach der deutschen Regelung eine schwangere Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen verfügt, um eine Klage zu erheben . Dagegen verfügt eine Arbeitnehmerin, die aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund vor Verstreichen dieser Frist keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, nur über zwei Wochen, um zu beantragen, eine solche Klage erheben zu können. Diese Unterscheidung ist nach Auffassung des Gerichtshofs eine Ungleichbehandlung, da eine so kurze Frist, insbesondere verglichen mit der ordentlichen Frist von drei Wochen, mit der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz unvereinbar ist . In Anbetracht der Situation, in der sich eine Person zu Beginn ihrer Schwangerschaft befinde, scheint diese kurze Frist nämlich dazu angetan, es der schwangeren Person sehr zu erschweren, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Kündigungsschutzklage abzufassen und einzureichen.
Praxishinweise und Fazit
Das Urteil des Europäischen Gerichtshof trägt dazu bei, die Rechte schwangerer Personen zu stärken und die kurze Frist aus § 5 Abs. 3 KSchG an die ordentliche Frist zur Einlegung einer Kündigungsschutzklage aus § 4 S. 1 KSchG, mithin 3 Wochen nach Zugang der Kündigung, zumindest anzupassen. Bis zu einer möglichen Umsetzung in nationales Recht sollten schwangere Personen, die nach Ablauf der Dreiwochenfrist aus § 4 S. 1 KSchG erst von ihrer Schwangerschaft erfahren, dennoch umgehend den Arbeitgeber in Kenntnis setzen und den Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 KSchG (Zweiwochenfrist) stellen.
Ansgar Lederer
Rechtsanwalt
dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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