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Annahmeverzugslohn nur bei Auskunft über Bewerbungsbemühungen

LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22

I.  Einleitung

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (6 Sa 280/22) hat die Anforderungen an Bewerbungsbemühungen von gekündigten Arbeitnehmern konkretisiert. Danach steht solchen Arbeitnehmern, die sich während eines Kündigungsrechtsstreits nicht hinreichend um eine neue Arbeitsstelle bemühen, kein Annahmeverzugslohn zu, wenn sich die Kündigung schließlich als unwirksam erweist.

Insbesondere im Rahmen von Annahmeverzugslohnansprüchen wird auf Seiten von Arbeitnehmern versucht, höhere Abfindungszahlungen rauszuschlagen. Nach einem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ist das Ansammeln von Annahmeverzugslohnansprüchen nunmehr deutlich erschwert. In Fortführung an die höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG wird seitens des LAG Berlin-Brandenburg die Messlatte zur Geltendmachung von Annahmeverzugslohnansprüchen deutlich erschwert. Das Gericht äußert sich in diesem Zusammenhang auch konkret zu Indizien, aus denen sich die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs ergebe.

II. Sachverhalt

Der als Sachbearbeiter in einer Versicherung tätige Kläger macht im Nachgang zu einem rechtskräftig zu seinen Gunsten entschiedenen Kündigungsschutzverfahren hinsichtlich zweier fristloser Kündigungen aus Mai 2017 und Juni 2019 Annahmeverzugslohnansprüche bis April 2021 geltend. Der Kläger erhielt zunächst Arbeitslosengeld I. Bis April 2021 erhielt der Kläger 23 Vermittlungsvorschläge. Der Kläger erzielte keinen Zwischenverdienst. Der Kläger behauptet, ab Oktober 2018 104 Bewerbungen per E-Mail auf Offerten in der Online-Jobbörse der Agentur für Arbeit (AfA) versandt zu haben. Hierauf habe er 75 Absagen und in 29 Fällen keine Reaktion erhalten. Das ArbG wies die Klage ab.

III. Entscheidung

Nachdem bereits das Arbeitsgericht die Zahlungsklage des Arbeitnehmers betreffend seiner Annahmeverzugslohnansprüche für die Monate 2017 bis April 2021 abwies wurde auch die Berufung des Klägers hiergegen durch das LAG Berlin-Brandenburg abgewiesen.

Ein Anspruch des Klägers auf Entgeltansprüche gem. §§ 611 a I, 615 BGB sei zwar dem Grunde nach aufgrund Annahmeverzugs gegeben. Der Anspruch belaufe sich jedoch gem. § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG, § 615 S. 2 BGB wegen böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit auf Null. Die gesetzlichen Regelungen stellten darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie

Arbeitsplatzwahl die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar sei.

Ausweislich der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber  Auskunft über die Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen. Nur so sei der Arbeitgeber in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs prüfen und einwenden zu können.

Der Rechtsprechung des BAG folgend führte das LAG in seiner Entscheidung konkrete Indizien auf, welche für ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs herangezogen werden müssen, mithin vorliegend:

  • Lückenhafte Bewerbungsversuche auf die Vermittlungsvorschläge der BfA,
  • kein Vortrag des Arbeitnehmers, warum der auf Antwortmails nicht reagierte,
  • keine nachgewiesenen Bewerbungsversuche vor 28.10.2018,
  • kein Vortrag dazu, warum er im Falle einer fehlenden Absage nicht nachfragte,
  • Anzahl der Bewerbungen (103 Bewerbungen in 29 Monaten), unzureichende Qualität der Bewerbungen (Rechtschreibfehler etc.).

IV. Fazit

Durch die vorstehende Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg verschiebt sich das Annahmeverzugslohnrisiko in die Sphäre des Arbeitnehmers. Die bisher gelebte Praxis „Abwarten und Tee trinken“ birgt ein hohes finanzielles Risiko für den Arbeitnehmer. Schlussendlich wird man auf Seiten des Arbeitnehmers zukünftig noch höhere Anforderungen betreffend seiner Bewerbungsbemühungen  erfüllen müssen. Eine saubere und umfangreiche Dokumentation sämtlicher Bewerbungsversuche ist hierfür unablässig. Auch wird man zukünftig vom Arbeitnehmer erwarten dürfen, dass dieser im Falle einer fehlenden Absage sich eigeninitiativ nach dem Bewerbungsstand erkundigt.

Höchstrichterlich nicht geklärt ist bisher nach wie vor, ob sich das Annahmeverzugslohnrisiko dadurch vermeiden lässt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens auffordert, sich auf arbeitgeberseitig recherchierte Stellenanzeigen zu bewerben. Arbeitgeberseitig sollte diese Möglichkeit bis zu einer abschließenden Klärung dieser Rechtsfrage in Anspruch genommen werden.

Thomas Frisch
Rechtsanwalt

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