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Aktives Wahlrecht von Führungskräften in mehreren Betrieben einer Matrixstruktur
BAG, Beschluss vom 22. Mai 2025 – 7 ABR 28/24
Sind Beschäftigte eines Unternehmens in mehreren Betrieben tätig, sind sie dort jeweils aktiv wahlberechtigt – das Bundesarbeitsgericht (BAG) erkennt die Möglichkeit der ebenso praxisrelevanten wie umstrittenen mehrfachen Wahlberechtigung ausdrücklich an. Bisher gab es hierzu keine eindeutige Rechtsprechung: In einer früheren Entscheidung (Beschluss vom 12. Juni 2019 – 1 ABR 5/18) hatte das BAG diese Frage noch offengelassen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen (Beschluss vom 22. Januar 2024 – 16 TaBV 98/23) bejahte die mehrfache Wahlmöglichkeit, das LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 13. Juni 2024 – 3 TaBV 1/24), dessen Entscheidung das BAG nun aufgehoben hat, vertrat hingegen die gegenteilige Auffassung.
I. Sachverhalt
Bei der Arbeitgeberin, einem IT-Unternehmen mit mehreren Standorten, bestehen aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach § 3 BetrVG – abweichend von den im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Strukturen – fünf organisatorische Einheiten, in denen jeweils ein Betriebsrat gewählt ist. Das Unternehmen arbeitet in einer Matrixstruktur. Die Beschäftigten aus verschiedenen Betrieben arbeiten also in gemischten Teams zusammen und werden dabei von Führungskräften aus anderen Betrieben fachlich angeleitet. Bei der Betriebsratswahl im Betrieb „Region Süd“ im Jahr 2022 wertete der Wahlvorstand auch jene Matrix-Führungskräfte als wahlberechtigt, die Vorgesetzte von Beschäftigten des Betriebs waren. In der Wählerliste hatte er 498 Beschäftigte des Betriebs „Region Süd“ sowie 128 Matrixmanager, welche die Vorgesetzten von Beschäftigten des Betriebs „Region Süd“ sind, aufgeführt. Die Arbeitgeberin focht die Wahl mit der Begründung an, dass diese Führungskräfte kein Wahlrecht gehabt hätten, da sie dem Betrieb „Region Süd“ nicht zuzurechnen seien. Das LAG sah die arbeitsvertragliche Zuordnung der Matrixmanager als entscheidend für die betriebliche Zuordnung an und erklärte die Wahl für ungültig.
II. Entscheidungsgründe
Vor dem BAG wendete sich das Blatt: Die vom Betriebsrat eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Ein Arbeitnehmer, der mehreren Betrieben desselben Unternehmens zugeordnet ist, besitze in allen Betrieben das aktive Wahlrecht, dementsprechend auch Führungskräfte, die keine leitenden Angestellten sind. Gemäß § 7 S. 1 BetrVG sind alle Arbeitnehmer eines Betriebs wahlberechtigt, sofern sie das 16. Lebensjahr vollendet haben. Die Wahlberechtigung hänge somit von der betrieblichen Zugehörigkeit ab, die sich aus der Eingliederung in die betriebliche Organisation ergebe. Dass ein Arbeitnehmer bereits in einem bestimmten Betrieb eingegliedert und dort wahlberechtigt sei, schließe eine Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht aus. Eine Mehrfachwahlberechtigung sei möglich.
Ob diese im konkreten Fall vorliege, die Matrixmanager also in den Betrieb eingegliedert sind, konnte das BAG jedoch nicht abschließend klären, weshalb die Sache zurück ans LAG verwiesen wurde.
III. Praxishinweise und Fazit
Matrixstrukturen sind aus der heutigen Arbeitswelt kaum noch wegzudenken. Die Entscheidung hat daher eine gro-ße Bedeutung für die im nächsten Jahr wieder stattfin-denden regelmäßigen Betriebsratswahlen. Welche großen Auswirkungen die Zuordnung von ortfremden Matrixma-nagern zum lokalen Betrieb haben kann, verdeutlich der vorliegende Fall exemplarisch: Auf der Wählerliste wa-ren 128 Matrixmanager aufgezählt, welche der Wahlvor-stand bei der Betriebsgröße berücksichtigt hat. Durch das Hinzuzählen der Matrixmanager erhöht sich daher die Zahl der Beschäftigten, was wiederum Auswirkungen haben kann auf die Größe des Betriebsrats nach § 9 Be-trVG sowie die Anzahl der Freistellung nach § 38 Be-trVG. In vielen Betrieben ist die Situation ähnlich: Wür-de man die (ortsfremden) Matrixmanager zu den Be-schäftigten hinzuzählen, würde sich die Zahl der Beschäf-tigten deutlich erhöhen. Das Urteil bietet damit insbeson-dere für Wahlvorstände Anlass, einen genaueren Blick auf vom Arbeitgeber anderen Betrieben zugeordnete Mat-rixmanager zu werfen. Dies gilt insbesondere, wenn die soeben aufgezählten Schwellenwerte ansonsten knapp unterschritten werden.
Im Übrigen hat das BAG mit dem Beschluss zwar ent-schieden, dass die Möglichkeit der gleichzeitigen Ein-gliederung in verschiedenen Betrieben besteht. Es ist al-lerdings noch offen, ob das BAG auch Einschränkungen vornimmt, unter welchen Voraussetzungen Matrixmana-gerin rechtlich in einen Betrieb eingegliedert sind. Dies-bezüglich muss der Volltext der Entscheidung, die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, abgewartet werden. Folgt das BAG dabei ebenfalls der Ansicht des LAG Hes-sen, würde für das aktive Wahlrecht bereits das bloße Führen von Beschäftigten im örtlichen Betrieb ausrei-chen, was immense Auswirkungen hätte.
Marcel Dietl
Rechtsanwalt
dkm Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht.
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