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Erste Entscheidung zur Mitbestimmung bei agiler Arbeit

ArbG Bonn, Beschluss vom 06.10.2022 – 3 BV 116/21

I. Allgemeines zur agilen Arbeit

Was für Projektmanager und IT-ler schon lange „kalter Kaffee“ ist, fängt so langsam an, die Gerichte zu beschäftigen. Seit ca. drei Jahren werden „agile Arbeitsmethoden“ in großen wie kleinen Betrieben eingeführt, um Arbeitsprozesse zu beschleunigen, zu verschlanken und – ebenso wie die Arbeitsergebnisse – zu verbessern. Viele Arbeitsmethoden haben hierbei ihre Grundlage im Manifest der agilen Arbeit. Wesentliche Kernsätze des agilen Manifestes lauten:

  • ­ Agile Prozesse nutzen Veränderung
  • ­ Tägliche Zusammenarbeit von allen Projektbeteiligten
  • ­ Informationsübertragung nach Möglichkeit im Gespräch von Angesicht zu Angesicht
  • ­ Einfachheit ist essenziell (KISS-Prinzip: Keep it simple and stupid)
  • ­ Selbstorganisation der Teams bei Planung und Umsetzung
  • ­ Selbstreflektion der Teams über das eigene Verhalten zur Anpassung im Hinblick auf Effizienzsteigerung

Zudem gehört eine feste Rollenverteilung zur agilen Arbeit. Es wird zwischen Product-Owner, das Mitglied im Entwicklungsteam, und dem Scrum-Master unterschieden. In erster Linie IT-Abteilungen großer Unternehmen haben zunächst ihre Projektorganisation im Entwicklungsprozess von der Wasserfallmethode auf agile Methoden umgestellt. Agile Arbeit und deren Grundsätze haben aber mehr und mehr Raum in der Arbeitsorganisation unterschiedlichster Unternehmen gefunden. Betriebsräte haben selbstverständlich sehr schnell die Frage nach dem Mitbestimmungsrecht bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden aufgeworfen. Im Mittelpunkt der Diskussion war unter anderem § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG. Nach dieser Vorschrift haben Betriebsräte bei Grundsätzen über die Durchführung von Gruppenarbeit mitzubestimmen, sofern eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht.

II. Sachverhalt

Das Arbeitsgericht Bonn hat nun erstmals eine Entscheidung veröffentlicht, die sich lehrbuchartig mit den tatbestandlichen Voraussetzungen agiler Arbeit und deren Anwendung auf § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG befasst. Hintergrund der Entscheidung war ein Streit zwischen dem Gesamtbetriebsrat eines großen Unternehmens und dem Arbeitgeber. Der Gesamtbetriebsrat vertrat die Auffassung, dass die seit 2019 im Unternehmen durchgeführte Projektarbeit in Form agiler Scrum-Teams dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 I Nr. 13 BetrVG unterläge. Für die Monate Januar 2019 bis Juli 2021 schlossen die Parteien eine Pilot-Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung agiler Arbeitsmethoden. Diese Vereinbarung wurde zunächst mehrfach verlängert, die Verhandlungen über den Abschluss einer über Juli 2021 hinausgehenden Vereinbarung blieben jedoch erfolglos. Nachdem die Arbeit der Scrum-Teams im Unternehmen jedoch fortgeführt wurde, strengte der Gesamtbetriebsrat ein gerichtliches Verfahren mit dem Ziel an, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Fortführung der agilen Gruppenarbeit zu unterlassen, jedenfalls solange bis der Gesamtbetriebsrat beteiligt worden ist.

III. Entscheidung

Im Beschluss vom 06.10.2022 ­(3 BV – 116/21) hat das Arbeitsgericht Bonn dem Arbeitgeber aufgegeben, die Durchführung von agiler Gruppenarbeit in Form der Zusammenarbeit von mehr als zwei Beschäftigten unter Einsatz eines Scrum-Masters und eines Product-Owners in bestimmten Teams ohne Zustimmung des Betriebsrates oder deren Ersetzung durch den Spruch einer Einigungsstelle zu unterlassen. Das Arbeitsgericht Bonn geht mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass bei Missachtung des echten MitbestimmungsrechtS des § 87 BetrVG ein Unterlassungsanspruch zugunsten des Betriebsrates besteht. Zudem kommt das Arbeitsgericht Bonn zu dem Ergebnis, dass agile Arbeitsteams unter Einsatz eines Scrum-Masters und eines Product-Owners Gruppenarbeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG vollziehen. Der Sachverhalt der Entscheidung liest sich wie eine Abschrift eines Lehrbuches zur agilen Arbeit. Dieser Sachverhalt dürfte folglich auf viele Unternehmen zutreffen, die erstmals agile Arbeit in klassischen Systemen eingeführt haben.

IV. Fazit und Praxishinweise

Das Mitbestimmungsrecht von Betriebsräten erstreckt sich nicht alleine auf § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG, wenn es um die Einführung agiler Arbeitsmethode geht. Betroffen sind darüber hinaus die Ordnung des Betriebes (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), Mitbestimmungsrechte in Bezug auf Regelungen zur flexiblen Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) und insbesondere auch die Beteiligung im Hinblick auf Vergütungsstrukturen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Alle diese Regelungen, die auf Basis herkömmlicher Arbeitsorganisationsmodelle basieren, lassen sich auf die agile Arbeit transformieren. Zu empfehlen ist generell eine Betriebsvereinbarung zur Einführung agiler Arbeitsmethoden; um das Beteiligungsrecht aus allen Aspekten heraus zu berücksichtigen und konstruktiv zu regeln. Die Kanzlei dkm hat in vielen Fällen Betriebsvereinbarungen zur Einführungen agiler Arbeitsmethoden gestaltet und verfügt über breite Erfahrung bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden.

Die Praxis zeigt, dass es sich lohnt, die Prozesse zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam zu gestalten, um spätere gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Dr. Knut Müller
Rechtsanwalt I Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht I Partner

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